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Deutsche Identitätskrise
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Allmend постоялец
in Antwort Allmend 20.05.03 11:16
(Von WALTER KRÄMER)
"..Noch sprechen 100 Millionen Menschen auf der Erde deutsch. Aber viele, vielleicht sogar die meisten, nur recht widerwillig. Der moderne Modell-Germane joggt, jumpt, trekkt, walkt, skatet oder biket, hat fun und feelings, moods und moments, sorrows und emotions - und scheint vor nichts auf Erden solche Angst zu haben, wie seine eigene Sprache zu benutzen. Deutsch zu sprechen, ist vielen Deutschen ganz offensichtlich lästig oder peinlich.
Für diese kulturelle Selbstaufgabe gibt es viele vorgeschobene und zwei wahre Gründe...
[D]er erste ist international: "Englisch zu reden, ist für manche Berufe der leichteste Weg, sich auf ein hohes Ross zu setzen und allen Nachfragen zu entkommen" (Konrad Adam in der FAZ). Wenn ein Professor der Pädagogik eine Untersuchung zum Zusammenhang zwischen der Klassengröße und der Qualität des Unterrichts mit dem Fazit abschließt, dass der Unterricht in kleinen Klassen im allgemeinen besser sei als der in großen, so kann er diese Trivialität auf deutsch nicht mehr vermarkten, auf englisch aber wohl: "Size matters" ist der Titel dieser Untersuchung.
Oder anders ausgedrückt: Wer nichts zu sagen hat, sagt es auf Englisch. Durch das Ausweichen aus der von allen verstandenen Muttersprache in eine den meisten nur halb verständliche Fremdsprache sind auch Nichtigkeiten noch als gehaltvolle Gedanken auszugeben, kann man so schön den Mangel an eigenen Gedanken übertünchen, der bei dem Zwang, sich klar und deutlich in der Muttersprache auszudrücken, so offenbar zutage träte...
Der zweite Grund für die moderne Anglizismenschwemme beschränkt sich auf die Deutschen und ist ein Ausfluss unserer Geschichte: Viele Deutsche flüchten nicht eigentlich aus unserer Sprache (das ist nur ein Symptom und für die Flüchtenden eher nebensächlich), sie flüchten aus ihrer nationalen Haut als Deutsche. Lieber ein halber Ami als ein ganzer Nazi, man möchte endlich, und sei es auch nur leihweise, zu denen gehören, die in Hollywoodfilmen immer gewinnen, zu den Edlen, Guten und Geliebten dieser Erde.
Die Pidgin-Sprache, in der viele Deutsche heute reden, ist eine Art selbstgefertigter Kosmopoliten-Ausweis, den seine Besitzer in der Absicht schwenken, dass man sie nicht für Deutsche halten möge.
Es ist vor allem diese "linguistic submissiveness" (so die Londoner Times), die die in Deutschland grassierende Anglizitis zu einer so peinlichen und würdelosen Affäre macht - man fühlt sich angeschleimt und ausländischen Gästen gegenüber oft beschämt ("Bin ich hier in Chicago oder wo?" - Kommentar eines polnischen Gastwissenschaftlers auf dem "airport" Düsseldorf).
Und solange wir mit unserer Identität als Deutsche nicht ins Reine kommen, wird auch die deutsche Sprache von ihren aktuellen Leiden nicht genesen..."
http://home.t-online.de/home/humanist.aktion/esperant.htm#kra