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Сроки рассмотрения аппеляции??

30.08.18 15:10
Re: Сроки рассмотрения аппеляции??
 
Hirsch74 гость

пока дело не полностью закончено не хочу выкладывать сканы))) из за суеверных соображений))) пока ограничусь решением суда взятого с сайта суда. там не указано фамилий имен и прочего но это мой крайний процес, который проходил 10 апреля и его выиграли)))


Datum:

10.04.2018

Gericht:

Verwaltungsgericht Köln

Spruchkörper:

7. Kammer

Entscheidungsart:

Urteil

Aktenzeichen:

7 K 7283/17

ECLI:

ECLI:DE:VGK:2018:0410.7K7283.17.00

Tenor:

Soweit die Klage gegen den Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 21.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 verpflichtet, dem Kläger einen Aufnahmebescheid als Spätaussiedler gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 BVFG zu erteilen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für jeden Beteiligten vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der andere Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Berufung wird zugelassen.

1

Tatbestand

2

Der am 00.00.0000 in Magadan, ehemalige UdSSR, geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler nach § 27 BVFG.

3

Am 12.11.1991 stellte der Kläger erstmalig einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Ausweislich seiner am 21.08.1991 ausgestellten Geburtsurkunde ist der Kläger der Sohn des ukrainischen Volkszugehörigen B. H. (I. ) und der russischen Volkszugehörigen J. H. (I. ). Die Großeltern mütterlicherseits sind die russische Volkszugehörige B1. I. und der deutsche Volkszugehörige Johann I. .

4

Der Großvater des Klägers, K. I. , erwarb im Jahr 1944 im Warthegau die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihm wurde 1957 eine Übernahmegenehmigung erteilt. Im Jahr 1991 siedelte er nach Deutschland aus und erhielt im selben Jahr einen Vertriebenenausweis.

5

Die Mutter des Klägers, J. I. , stellte gleichzeitig mit dem Kläger am 12.11.1991 einen Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheides für sich und den 1978 geborenen Bruder des Klägers, B. I. . Dieser wurde mit Bescheid vom 18.02.1994 bestandskräftig abgelehnt, weil die Mutter als russische Volkszugehörige im Inlandspass eingetragen war und angegeben hatte, die deutsche Sprache nur zu verstehen, aber nicht zu sprechen.

6

Die Nationalität der Mutter wurde durch Beschluss der Pass- und Visaabteilung der Stadt Kaliningrad vom 01.06.2001 von „Russisch“ in „Deutsch“ geändert.

7

Am 18.03.2011 wurde der Mutter und dem Bruder des Klägers ein Ausweis über die deutsche Staatsangehörigkeit ausgestellt. Im Juni 2011 reisten die Mutter und der Bruder des Klägers das Bundesgebiet ein.

8

Erneute Anträge der Mutter und des Bruders des Klägers auf Erteilung eines Aufnahmebescheides wurden abgelehnt und die hiergegen erhobenen Klagen 7 K 6122/14 und 7 K 6121/14 mit Urteilen des erkennenden Gerichts vom 02.02.2016 abgewiesen. Das Urteil im Verfahren des Bruders B. ist rechtskräftig. Über den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Verfahren der Mutter ergangene Urteil im nachträglichen Aufnahmeverfahren wurde noch nicht entschieden. Der Mutter wurde aber im April 2016 eine Spätaussiedlerbescheinigung erteilt.

9

Der Aufnahmeantrag des Klägers vom 12.11.1991 wurde mit Bescheid vom 18.02.1994 ebenfalls abgelehnt. Im Antrag hatte der Kläger angegeben, er sei russischer Volkszugehöriger. Seine Muttersprache sei russisch und die jetzige Umgangssprache in der Familie ebenfalls russisch. In der Familie werde nur von den Großeltern deutsch gesprochen. Er besuche die Schule und könne die deutsche Sprache verstehen, sprechen und schreiben.

10

Mit dem Antrag wurde ein 1991 ausgestellter Inlandspass mit Eintragung der russischen Volkszugehörigkeit vorgelegt.

11

In der Begründung des Ablehnungsbescheides des BVA vom 18.02.1994 wurde ausgeführt, der Kläger sei kein deutscher Volkszugehöriger, weil er die deutsche Sprache weder als Muttersprache noch als bevorzugte Umgangssprache beherrsche. Außerdem gehöre er nach dem Recht des Herkunftsstaates nicht zur deutschen Volksgruppe und habe, wegen der Wahl der russischen Nationalität durch die Mutter, auch nicht die Möglichkeit der erforderlichen Erklärung zum deutschen Volkstum gehabt. Der Bescheid wurde dem bevollmächtigen Großvater des Klägers am 26.02.1994 zugestellt.

12

Im Mai 2011 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheides sowie auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit wurde nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers zwischenzeitlich rechtskräftig abgelehnt.

13

Am 17.10.2012 reiste der Kläger mit seinem am 23.06.2009 geborenen Sohn Ivan und einem Besuchsvisum nach Deutschland ein und stellte am 30.10.2012 über seinen Prozessbevollmächtigten einen Antrag an die zuständige Ausländerbehörde der Stadt P. auf „Erteilung eines Aufenthaltstitels“. Der Kläger dürfe sich als Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Staatsangehörigkeit und Kind eines deutschen Kriegsgefangenen im Bundesgebiet dauerhaft aufhalten. Seit dem 10.04.2013 lebte auch die Ehefrau Evgenia, die russische Staatsangehörige ist, im Bundesgebiet.

14

Am 05.11.2013 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Wiederaufgreifen des Aufnahmeverfahrens und die Erteilung eines Aufnahmebescheides.

15

In der Folgezeit legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Beschluss des Bezirksgerichts Kaliningrad vom 27.12.2001 in Fotokopie vor, wonach die Nationalität des Klägers im Inlandspass von „Russe“ auf „Deutscher“ zu ändern sei. Ferner überreichte er ein Sprachzertifikat für die deutsche Sprache vom 08.10.2014 im Original, wonach der Kläger die Prüfung mit dem Ergebnis B1 bestanden habe. Am 20.10.2014 wurde dem Kläger vom BVA mitgeteilt, dass die angeforderten Unterlagen noch nicht vollständig vorlägen.

16

Am 29.01.2015 erhob der Kläger Untätigkeitsklage (7 K 550/15). Zur Begründung trug er vor, er sei deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des 10. Änderungsgesetzes. Er habe sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zum deutschen Volkstum bekannt. Das ergebe sich aus dem Sprachzertifikat B1. Die deutsche Sprache habe er von seinen Großeltern erlernt. Deutsch sei auch die Muttersprache aus seiner frühen Kindheit, was der Bruder B. bezeugen könne. Da er auch von deutschen Staatsangehörigen abstamme, seien die Voraussetzungen erfüllt.

17

Das Gericht lehnte mit Beschluss vom 10.12.2015 den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, weil die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten habe. Der nunmehr in Deutschland lebende Kläger habe voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, weil kein Härtefall glaubhaft gemacht sei. Außerdem erfülle der Kläger die Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2007 nicht, weil ihm die deutsche Sprache nicht familiär vermittelt worden sei und der Kläger sich nicht durchgängig zum deutschen Volkstum bekannt habe.

18

Durch Beschluss des OVG NRW vom 18.01.2016 – 11 E 29/16 – wurde die hiergegen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, für eine Härte bestünden keine Anhaltspunkte. Weder sei die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers derzeit festgestellt noch sei ersichtlich, dass die Mutter gerade auf die Hilfe des Klägers angewiesen sei. Ein Folgeantrag nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Im Übrigen habe der Kläger seinen Wohnsitz im Bundesgebiet.

19

Mit Schriftsatz vom 10.10.2016 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger seinen Wohnsitz wieder in Kaliningrad genommen habe und am 04.10.2016 einen Folgeantrag bei der Beklagten gestellt habe. Daher gelte der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet als ununterbrochen fort und über den Aufnahmeantrag sei nunmehr ohne die Prüfung eines Härtefalls zu entscheiden.

20

Zum Nachweis legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers zahlreiche in Kaliningrad gefertigte Unterlagen vor (Meldebescheinigungen, einen Arbeitsvertrag, eine Bescheinigung über einen am 18.10.2016 ausgestellten Reisepass der Russischen Föderation). Darunter befand sich auch die Fotokopie einer am 27.10.2016 ausgestellten Geburtsurkunde des Sohnes J1. (geb. 00.00.0000), in der der Kläger mit deutscher Nationalität geführt wird.

21

Mit Bescheid des BVA vom 04.01.2017 wurde der Folgeantrag des Klägers im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG vom 04.10.2016 abgelehnt. In der Begründung wird ausgeführt, der Antrag sei unzulässig. Unabhängig davon, ob der Kläger überhaupt erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet habe, komme die Anwendung der Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG schon deshalb nicht in Betracht, da weder ein Härtefallantrag im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG gestellt noch ein solcher abgelehnt worden sei.

22

In der mündlichen Verhandlung des Verfahrens 7 K 550/15 am 21.02.2017 legte die Vertreterin der Beklagten einen Ablehnungsbescheid im Härtefallaufnahmeverfahren vom 21.02.2017 vor, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausgehändigt wurde. In der Begründung wurde ausgeführt, der Kläger könne sich nicht auf einen Härtefall berufen. Darüber hinaus sei er auch kein deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung von 2007. Denn es fehle an einem durchgängigen Bekenntnis zum deutschen Volkstum und an einer familiären Vermittlung der deutschen Sprache.

23

Nach der Vorlage des Härtefallbescheides vom 21.02.2017 in der mündlichen Verhandlung wurde die Untätigkeitsklage 7 K 550/15 im Termin durch beide Beteiligte für erledigt erklärt. Gleichzeitig kündigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers an, gegen den Bescheid vom 21.02.2017 Widerspruch und Klage einzulegen.

24

Der Widerspruch des Klägers gegen den Härtefallbescheid vom 21.02.2017 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2017 zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei ausweislich einer Meldeauskunft der Stadt P. vom April 2017 nach wie vor dort gemeldet, habe seinen Wohnsitz somit im Bundesgebiet. Gründe für eine besondere Härte im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG seien nach wie vor nicht ersichtlich. Maßgeblich für die Entscheidung über den Aufnahmeanspruch sei die Fassung des § 6 Abs. 2 BVFG im Zeitpunkt der Einreise, also im Oktober 2012. Diese Voraussetzungen seien aber nicht erfüllt. Der Bescheid wurde am 19.04.2017 zugestellt.

25

Der Widerspruch des Klägers gegen den Folgeantragsbescheid vom 04.01.2017 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2017 – gleichzeitig mit dem Widerspruchsbescheid im Härtefallverfahren – zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob der Kläger und seine Familienangehörigen überhaupt erneut Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet begründet hätten. Jedenfalls sei die Fiktionsregelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG im Fall des Klägers nicht anwendbar. Diese betreffe nur einen Aufnahmeantrag, der allein wegen des Nichtvorliegens einer besonderen Härte abgelehnt worden sei, in dem aber die sonstigen Voraussetzungen für die Anerkennung als Spätaussiedler erfüllt seien. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Mit den Ablehnungsbescheiden vom 18.02.1994 und vom 21.02.2017 sei bereits festgestellt worden, dass der Kläger die Anforderungen der §§ 4 und 6 BVFG nicht erfülle. Der Bescheid wurde am 19.04.2017 zugestellt.

26

Am 18.05.2017 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er zunächst die Aufhebung der Bescheide vom 04.01.2017 und vom 21.02.2017 sowie der Widerspruchsbescheide vom 11.04.2017 und die Erteilung eines Aufnahmebescheides für den Kläger unter Einbeziehung seiner Ehefrau und seines Sohnes beantragt hat.

27

Am 08.06.2017 hat er außerdem beantragt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Kläger einen Aufnahmebescheid zu erteilen (7 L 2590/17). Der Antrag wurde durch Beschluss des erkennenden Gerichts vom 07.09.2017 mit der Begründung abgelehnt, dass weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sei. Insbesondere sei eine Verlegung des Wohnsitzes aus dem Bundesgebiet nach Kaliningrad zweifelhaft, die für eine Anwendung der Fiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG erforderlich sei.

28

Die Beschwerde des Klägers wurde durch Beschluss des OVG NRW vom 16.11.2017 – 11 B 1228/17 – zurückgewiesen. Der Kläger habe die Voraussetzungen der Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG nicht glaubhaft gemacht. Er habe bisher nicht belegen können, dass er und seine Familie ihren Wohnsitz zurück ins Aussiedlungsgebiet verlegt hätten. Außerdem sei die Anwendbarkeit der Fiktionsregelung fraglich. Der Kläger sei zu Besuchszwecken im Oktober 2012 in das Bundesgebiet eingereist, ohne die Entscheidung über seinen Aufnahmeantrag abzuwarten. Sodann habe er versucht, seinen Aufenthalt in Deutschland bis zu einer Entscheidung über den Aufnahmeantrag und den gleichzeitig gestellten Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zu verlängern, obwohl er bereits seit Mai 2013 ausreisepflichtig gewesen sei. Damit habe sein Aufenthalt in Deutschland nicht allein auf einem irrtümlich angenommenen Spätaussiedlerstatus oder einer Fehleinschätzung über das Vorliegen einer Härte beruht.

29

Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, der Kläger sei wegen seiner hilfsbedürftigen Mutter nach Deutschland eingereist und habe einen Härtefallantrag gestellt. In diesem Verfahren hätten die Beklagte und dann das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden, dass eine Härte nicht vorliege. Danach hätten der Kläger und seine Familie wieder Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet genommen. Daher gelte der Wohnsitz nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG als fortbestehend. Bei der Entscheidung über den Folgeantrag sei daher die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde, und nicht im Zeitpunkt der früheren Einreise im Oktober 2012, zugrunde zu legen. Der Aufenthalt in Deutschland müsse hinweggedacht werden.

30

Bei Anwendung des § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des 10. Änderungsgesetzes erfülle der Kläger nunmehr – ungeachtet der bisher ergangenen Bescheide – die Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit nach der jetzigen günstigeren Rechtslage. Das Bekenntnis werde durch das Sprachzertifikat der Stufe B1 ersetzt. Der Kläger sei auch in der Lage, sich aufgrund einer familiären Sprachvermittlung in deutscher Sprache zu unterhalten. Dies könne sein Bruder B. bezeugen.

31

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung am 10.04.2018 die Klage gegen den Härtefallbescheid vom 21.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 zurückgenommen.

32

Im Übrigen beantragt er,

33

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 zu verpflichten, dem Kläger einen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu erteilen.

34

Die Beklagte beantragt,

35

die Klage abzuweisen.

36

Sie trägt vor, sie gehe nunmehr davon aus, dass der Kläger seinen Wohnsitz wieder in Kaliningrad habe. Jedoch sei die Fiktionsregelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG hier nicht anwendbar, weil der Härtefallantrag nicht nur wegen des Fehlens einer besonderen Härte abgelehnt worden sei, sondern auch wegen der Nichterfüllung der sonstigen Voraussetzungen für den Spätaussiedlerstatus. Sie verweist insofern auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz. Darin werde zur Begründung für die Einführung einer Wohnsitzfiktion ausgeführt, die Regelung halte mittels einer Fiktion den ursprünglichen Wohnsitz „des Spätaussiedlers“ (Hervorhebung durch die Beklagte) aufrecht, um den nichtgewollten Ausschluss vom Spätaussiedlerstatus zu vermeiden. Daraus ergebe sich, dass nur Personen, die bereits Spätaussiedler seien, vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst würden.

37

Da der Kläger kein Spätaussiedler sei, gehöre er nicht zu dem geschützten Personenkreis.

38

Außerdem nimmt sie Bezug auf die Begründung des Beschlusses des OVG NRW vom 16.11.2017 – 11 B 1228/17 – im Eilverfahren.

39

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und in den Verfahren 7 K 550/15 und 7 L 2590/17 sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (3 Bände) und die Ausländerakten der Stadt P. Bezug genommen.

40

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

41

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage in der mündlichen Verhandlung am 10.04.2018 im Hinblick auf den Ablehnungsbescheid vom 21.02.2017 zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

42

Die verbliebene Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler in Anwendung der Vorschriften des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG ist zulässig und begründet.

43

Der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 04.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

44

Nach dieser Vorschrift wird auf Antrag Personen ein Aufnahmebescheid erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Wer Spätaussiedler ist, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 BVFG für Personen, die aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion stammen. Danach kann Spätaussiedler nur ein deutscher Volkszugehöriger sein, der die Aussiedlungsgebiete nach dem 31.12.1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von 6 Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor seit seiner Geburt seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.

45

Diese Voraussetzungen sind im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erfüllt.

46

Insbesondere steht der Erteilung des Aufnahmebescheides hier nicht entgegen, dass der Kläger seit seiner Geburt keinen ununterbrochenen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet hatte, weil er sich auf die Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG berufen kann. Zwar hat der Kläger seinen Wohnsitz in Kaliningrad im Oktober 2012 aufgegeben und einen neuen Wohnsitz in Deutschland begründet.

47

Der Wohnsitzbegriff des Bundesvertriebenengesetzes entspricht dem des Bürgerlichen Gesetzbuchs,

48

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.1989 – 9 C 6/89 – juris, Rn. 10 f.

49

Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet seinen Wohnsitz, wer sich an einem Ort ständig niederlässt. Gemäß § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.

50

Die Wohnsitzbegründung setzt in objektiver Hinsicht eine Niederlassung in dem Sinne voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Ort der Aufenthaltnahme gebildet wird, und in subjektiver Hinsicht den Willen, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dort dauernd beizubehalten,

51

vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.08.2012 – 11 A 2558/ 11 – m.w.N.

52

Der räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse liegt bei einer Niederlassung, die vor allen anderen örtlichen Beziehungen eines Menschen der Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Entfaltung seines gesamten Lebens ist. Dies ist unter Berücksichtigung der persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen und häuslichen Verhältnisse sowie der Absichten des Betroffenen zu ermitteln.

53

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse im Oktober 2012 in das Bundesgebiet verlegt, indem er mit seinem Sohn in das Bundesgebiet eingereist ist und bei der zuständigen Ausländerbehörde die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen dauerhaften Aufenthalt beantragt hat. Zu diesem Zeitpunkt lebten seine Mutter und sein Bruder bereits als deutsche Staatsangehörige in Deutschland. Seine Ehefrau kam im April 2013 nach. Damit befand sich der familiäre Schwerpunkt seines Lebens nunmehr im Bundesgebiet. Aus den bereits vor dieser Begründung einer Niederlassung in Deutschland gestellten Anträgen auf Erteilung eines Aufnahmebescheides und auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit ergibt sich der Wille des Klägers, eine dauerhafte Niederlassung in Deutschland zu begründen und auch beizubehalten.

54

Die Aufgabe des Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet im Oktober 2012 steht jedoch wegen der Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG ausnahmsweise der Erteilung eines Aufnahmebescheides nicht entgegen. Der Kläger kann sich auf die in dieser Vorschrift enthaltene Wohnsitzfiktion berufen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG gilt der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet als fortbestehend, wenn ein Antrag nach Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat.

55

Die Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt. Der Aufnahmeantrag des Klägers vom 27.05.2011 bzw. sein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens vom 05.11.2013 ist durch den Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 21.02.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 11.04.2017 nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG abgelehnt worden (hierzu nachfolgend unter 1.). Der Kläger hat im September 2016 das Bundesgebiet verlassen und jedenfalls im März 2017 erneut einen Wohnsitz in seinem Herkunftsgebiet begründet (hierzu nachfolgend unter 2.). Und er hat im Oktober 2016 einen Folgeantrag gestellt, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch fortwirkt (hierzu nachfolgend unter 3.).

56

1. Der Aufnahmeantrag des Klägers ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG abgelehnt worden. Zwar hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt einen ausdrücklichen Härtefallantrag gestellt. Einen eigenständigen Härtefallantrag sieht das BVFG aber auch nicht vor. Vielmehr ist dort nur davon die Rede, dass der Aufnahmebescheid „auf Antrag“ erteilt wird, § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Hierbei ist der Normalfall, dass der Aufnahmebescheid Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt wird (Satz 1). Im Ausnahmefall kann aber auch Personen mit Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes ein Aufnahmebescheid erteilt werden, wenn neben den sonstigen Voraussetzungen ein besonderer Härtefall vorliegt (Satz 2). Maßgeblich für die Entscheidung nach Satz 2 ist daher nicht eine spezielle Antragstellung, sondern der ständige Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes. In der Verwaltungspraxis des Bundesverwaltungsamtes und der Verwaltungsgerichte werden daher auch Aufnahmeanträge, die im Aussiedlungsgebiet gestellt wurden und nach vorzeitiger Einreise in das Bundesgebiet aufrechterhalten werden, als Anträge nach Satz 2 behandelt und entschieden. Der Kläger hat auch im Verlauf des Verfahrens Härtegründe vorgetragen. Die Beklagte hat jedoch mit Bescheid vom 21.02.2017 die Anerkennung eines besonderen Härtefalles abgelehnt und die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 2 VwGO versagt. Damit liegt eine Ablehnung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG vor.

57

Die Anwendung der Wohnsitzfiktion scheitert nicht daran, dass der Antrag des Klägers nicht nur wegen der Verneinung von Härtegründen, sondern auch wegen Fehlens der familiären Sprachvermittlung und eines durchgängigen Bekenntnisses zum deutschen Volkstum abgelehnt worden ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es im Rahmen der Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG nicht erforderlich, dass die Ablehnungsentscheidung nach Satz 2 allein auf das Fehlen eines Härtefalls gestützt wird, die sonstigen Voraussetzungen für die Spätaussiedlereigenschaft nach §§ 4, 6 Abs. 2 BVFG aber vorliegen. Für eine derartige einschränkende Auslegung bieten Wortlaut und Zweck der Regelung keine Grundlage,

58

vgl. bereits VG Köln, Urteil vom 23.05.2017 – 7 K 2550/15 – .

59

Nach dem Wortlaut ist die Vorschrift bereits dann anwendbar, wenn ein Antrag nach Satz 2 des § 27 Abs. 1 BVFG abgelehnt wurde. Auf die Gründe für die Ablehnung kommt es nicht an. Die Regelung differenziert nicht zwischen Ablehnungsbescheiden, die allein auf das Fehlen einer Härte gestützt sind und solchen, die zusätzlich das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für die Spätaussiedlereigenschaft verneinen.

60

Eine einschränkende Anwendung der Regelung auf solche Ablehnungsbescheide, die ausschließlich auf dem Fehlen von Härtegründen beruhen, wird auch durch den Zweck der Vorschrift nicht geboten.

61

Die Wohnsitzfiktion dient nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zweck, den Spätaussiedlerbewerber, der ohne Härtegründe in das Bundesgebiet eingereist ist, vor den Folgen der vorzeitigen Wohnsitzaufgabe zu schützen und ihm eine nochmalige Antragstellung im Aussiedlungsgebiet zu ermöglichen.

62

Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzgebers für die Einführung der Regelung in den Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz. Darin heißt es:

63

„Ein Härtefallantrag nach Absatz 2 setzt voraus, dass der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet aufgegeben worden ist. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluß zu Absatz 1.

64

Bei Ablehnung des Aufnahmebescheides im Härteweg muß demnach grundsätzlich wegen Absatz 1 erneut ein Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet begründet werden. Bei einer „Wohnsitzbegründung nach dem 8. Mai 1945 bzw. 31. März 1952 ist der Statuserwerb nach § 4 jedoch dauernd ausgeschlossen. Nach dem Gesetzeswortlaut würde damit die Ablehnung des Härteantrages automatisch zu einem dauernden Ausschluß vom Spätaussiedlerstatus führen. § 27 will aber dem Betroffenen eine erneute Antragstellung vom Heimatgebiet aus ermöglichen. Der vorgesehene Satz 2 hält mittels einer Fiktion den ursprünglichen Wohnsitz des Spätaussiedlers aufrecht. Durch diese Lösung wird gewährleistet, daß der nichtgewollte Ausschluß vom Spätaussiedlerstatus (§ 4) vermieden wird.“

65

vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 02.10.1992 zum Entwurf des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BT-Drs. 12/3341, S. 7 und Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 03.11.1992 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/3597, S. 44 f.

66

Soweit in dieser Begründung vom Schutz des „Spätaussiedlers“ die Rede ist, kann daraus nicht hergeleitet werden, dass die Vorschrift nur Antragsteller privilegieren sollte, die bei Entscheidung über den Härtefallantrag bereits Spätaussiedler sind. Der Begriff des Spätaussiedlers ist nicht als Tatbestandsmerkmal in den Wortlaut der Regelung aufgenommen worden und kann im Zusammenhang der Gesetzesbegründung auch im Sinne von „Spätaussiedlerbewerber“ oder „Antragsteller“ verstanden werden. Die Begründung verwendet daneben auch den Begriff des „Betroffenen“ und meint damit den von der Ablehnung eines Härtefallantrages Betroffenen.

67

Der Zweck der Wohnsitzfiktion gebietet nicht, die Anwendung auf solche Betroffene zu beschränken, die bereits Spätaussiedler sind, aber keine Härtegründe haben. Der Zweck erschöpft sich nämlich in der Funktion, dem abgelehnten Härteantragsteller eine „erneute Antragstellung im Heimatgebiet zu ermöglichen“, ohne dass dem neuen Antrag die zwischenzeitliche Wohnsitzaufgabe entgegengehalten werden kann. Sie überwindet also allein die vorzeitige Wohnsitzaufgabe, aber nicht das Fehlen der sonstigen Voraussetzungen für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus. Diese müssen aber erst im Zeitpunkt der Entscheidung über den Folgeantrag nach den dann anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften vorliegen,

68

vgl.: BVerwG, Urteil vom 04.11.1997 – 9 C 36/96 – juris, Rn. 10.

69

Demnach begünstigt die Wohnsitzfiktion Antragsteller, die bei einer Rückkehr in das Aussiedlungsgebiet und der Stellung eines Folgeantrages die Voraussetzungen der §§ 4 und 6 Abs. 2 BVFG erfüllen, insbesondere deutsche Volkszugehörige sind. Dies können Bewerber sein, die entweder bereits bei der Entscheidung über den Härtefallantrages Spätaussiedler waren oder jedenfalls bei der Entscheidung über den Folgeantrag Spätaussiedler sind. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn nach der erstmaligen Einreise eine Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, die die Erfüllung der Voraussetzungen für die Spätaussiedlereigenschaft erleichtert, wie das 10. Änderungsgesetz.

70

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht dieser Auslegung der Regelung über die Wohnsitzfiktion nicht entgegen.

71

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in einer früheren Entscheidung den Zweck der Wohnsitzfiktion darin gesehen, einen vorzeitig aus dem Aussiedlungsgebiet ausreisenden Aufnahmebewerber nicht mit dem Risiko einer Fehleinschätzung über das Vorliegen einer Härte zu belasten,

72

vgl. BVerwG, Urteil vom 26.08.2005 – 5 B 72/05 – , juris, Rn. 3.

73

In einer späteren Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht dieses enge Verständnis des Normzwecks jedoch aufgegeben und die (analoge) Anwendbarkeit auch bejaht, wenn der Aufenthalt auf einem irrtümlich angenommenen Spätaussiedlerstatus beruhte,

74

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 – 1 C 20/15 – juris, Rn. 21

75

Daraus kann entnommen werden, dass die Vorschrift nicht nur anwendbar ist, wenn die Spätaussiedlereigenschaft schon vorlag, aber keine Härtegründe gegeben waren, sondern auch dann eingreift, wenn die Spätaussiedlereigenschaft nicht vorlag, dies von den Antragstellern aber irrtümlich angenommen worden ist und zu einem Härtefallantrag geführt hat.

76

Auch die jüngste Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bietet keinen Ansatzpunkt für eine eingeschränkte Auslegung des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG. Darin führte das Gericht aus, die Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG sei geschaffen worden, weil es für die Spätaussiedlereigenschaft eines ununterbrochenen Wohnsitzes in den Aussiedlungsgebieten bedürfe und Antragsteller „aus einer übereilten Ausreise“ in Bezug auf ihre Spätaussiedlereigenschaft keine Nachteile erleiden sollten,

77

vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2018 – 1 C 36/16 – juris, Rn. 26.

78

Eine Differenzierung zwischen Fällen, in denen bei der vorzeitigen Ausreise der Spätaussiedlerstatus bereits vorlag und Fällen, in denen der Spätaussiedlerstatus noch nicht gegeben war, aber im Zeitpunkt des Folgeantrags bejaht werden kann, lässt sich dieser Entscheidung nicht entnehmen.

79

Mit einer Einschränkung der Anwendung der Wohnsitzfiktion auf Fälle eines bereits bestehenden Spätaussiedlerstatus würde die Möglichkeit der Stellung eines Folgeantrags aus dem Aussiedlungsgebiet nach einer Änderung der Rechtslage zugunsten der Aufnahmebewerber erheblich eingeschränkt. Mit dem Erlass des 10. Änderungsgesetzes zum BVFG sollte die Aufnahme für künftige Antragsteller mit Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet im Hinblick auf bestimmte Merkmale, insbesondere das Bekenntnis und den familiären Spracherwerb, erleichtert werden,

80

vgl. BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 – 1 C 29.14 – juris, Rn. 42.

81

Der Gesetzgeber wollte ausdrücklich auch solche Antragsteller begünstigen, die bereits einmal einen erfolglosen Aufnahmeantrag im Aussiedlungsgebiet gestellt hatten. Diesen sollte die Stellung eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens durch den Verzicht auf die Einhaltung der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG erleichtert werden, § 27 Abs. 3 Satz 1 BVFG 2013,

82

vgl. Beschlussempfehlung des Innenausschusses vom 12.06.2013 zum Gesetzentwurf des Bundesrates, Drs. 17/13937, zu Nr. 2, Buchstabe c, aa), S. 13.

83

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber Antragsteller, die nach einem erfolgslosen Härtefallantrag in das Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt sind, von den Erleichterungen des 10. Änderungsgesetzes ausschließen wollte und diese hierdurch gegenüber den im Aussiedlungsgebiet verbliebenen Antragstellern bei der Stellung eines Folgeantrages benachteiligen wollte. Dies würde aber geschehen, wenn man die Anwendung der Wohnsitzfiktion davon abhängig machen wollte, dass bei der früheren Entscheidung über den Härtefallantrag bereits alle übrigen Voraussetzungen für den Statuserwerb vorlagen. Dann kämen Antragsteller, die die früheren strengeren Voraussetzungen für die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit – wie hier – nicht erfüllten, nicht in den Genuss der Wohnsitzfiktion und hätten damit wegen der Anforderungen des § 4 BVFG an den ununterbrochenen Wohnsitz keinen Zugang zu den Vergünstigungen des neuen Gesetzes.

84

Dies entspricht aber nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers bei Einführung der Wohnsitzfiktion. Durch diese sollten die Härtefallantragsteller zu einer Rückkehr ins Aussiedlungsgebiet und damit zur Herstellung des vom Gesetzgeber gewünschten Zustandes (Stellung eines Aufnahmeantrages im Aussiedlungsgebiet) motiviert werden. Sie sollten durch die vorzeitige Ausreise gerade keinen Nachteil gegenüber den im Aussiedlungsgebiet verbliebenen Antragstellern erleiden.

85

Die Anwendung der Wohnsitzfiktion scheitert auch nicht daran, dass der Kläger mit einem Besuchsvisum eingereist ist oder neben dem Aufnahmeverfahren gleichzeitig ein Verfahren auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit betrieben hat,

86

vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 23.06.1997 – 2 A 3264/96 – zu einem gleichzeitig durchgeführten Asylverfahren, abgedruckt bei: von Schenckendorff, Vertriebenenrecht, C 41.6.80.

87

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anwendung der Regelung über die Wohnsitzfiktion allerdings ausgeschlossen, wenn der Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland „nicht allein auf einem irrtümlich angenommenen Spätaussiedlerstatus beruht hat“,

88

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 – 1 C 20/15 – juris, Rn. 21; zustimmend wohl OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2017 – 11 B 1228/17 – im vorliegenden Verfahren.

89

Diese Entscheidung steht einer Anwendung der Wohnsitzfiktion jedoch nicht entgegen, wenn gleichzeitig mit dem Härtefallaufnahmeverfahren andere Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltsstatus in Deutschland betrieben werden. Sie bezieht sich nämlich auf den Zeitpunkt der erforderlichen Rückkehr in das Herkunftsgebiet und damit auf andere Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltes in Deutschland nach dem Ende des Aufnahmeverfahrens. Die Rückkehr in das Aussiedlungsgebiet muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „unverzüglich“ nach der Beendigung des Härtefallaufnahmeverfahrens erfolgen. Dies war in dem entschiedenen Verfahren nicht der Fall, weil der dortige Antragsteller nach der rechtskräftigen Ablehnung des Härtefallaufnahmeantrags noch 2 weitere Jahre im Bundesgebiet geblieben ist, um die Entscheidung über den Einbeziehungsantrag seiner Mutter abzuwarten.

90

Damit beruhte der Aufenthalt des Bewerbers nur zeitweilig auf der Durchführung eines Härtefallaufnahmeverfahrens. Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 3 hilft nach ihrem Sinn und Zweck aber nur Antragstellern, die zur Durchführung eines Härtefallaufnahmeverfahrens das Herkunftsgebiet verlassen. Diese sollen keinen Nachteil aus der Wohnsitzaufgabe haben. Der Schutz dient aber nicht Antragstellern, die aus anderen Gründen einen Wohnsitz im Bundesgebiet begründen oder fortsetzen. Diese können den Spätaussiedlerstatus nach § 4 Abs. 1 BVFG nicht mehr erwerben.

91

2. Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger das Bundesgebiet ausweislich der Eintragungen in seinem Reisepass erstmalig im September 2016 verlassen. Eine Wohnsitzaufgabe in Deutschland und die Neugründung eines Wohnsitzes ist nach Auffassung des Gerichts jedoch erst mit der Rückkehr seiner Familienangehörigen in das Herkunftsgebiet im März 2017 erfolgt. Dies geschah in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass des Härtefallablehnungsbescheides vom 21.02.2017 und noch während der Anhängigkeit des Widerspruchsverfahrens. Die Rückkehr ist damit unverzüglich nach der Ablehnung des Aufnahmeantrags erfolgt.

92

Das Gericht geht nach Einsichtnahme in die Ausländerakte des Klägers und seiner Familienangehörigen davon aus, dass der Kläger im März 2017 mit seiner Familie in das Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt ist und dort wieder einen Wohnsitz begründet hat. Dies wird auch von der Beklagten nicht mehr bestritten. Er hat seine Ausreise, die Ausreise des Kindes J1. und die Ausreise der Ehefrau mit der Vorlage von Grenzübertrittbescheinigungen vom 26.03. bzw. 31.03.2017 belegt. Die Sozialleistungen des Jobcenters P. für die Familie wurden zu diesem Zeitpunkt eingestellt. Die Wohnung in P. wurde zum 31.08.2017 gekündigt. Der Kläger hat sich persönlich am 23.03.2017 beim Bürgerbüro der Stadt P. abgemeldet. Im August 2017 hat er nochmals zum Zweck der Auflösung der Wohnung ein kurzfristiges Einreisevisum in Kaliningrad beantragt und erhalten. Danach gibt es keine Vorgänge mehr in den Ausländerakten.

93

Er wohnt seither ausweislich der im PKH-Verfahren vorgelegten Unterlagen mit seiner Familie in einer der Ehefrau gehörenden Eigentumswohnung in Kaliningrad. Neben den Arbeitsbescheinigungen von in Kaliningrad ansässigen Arbeitgebern für sich und die Ehefrau, deren Aussagekraft zweifelhaft ist, hat der Kläger außerdem eine Bescheinigung mit dem Siegel der „Allgemeinbildenden Mittelschule“ in Kaliningrad vom 15.12.2017 eingereicht. Danach ist der Sohn des Klägers seit dem 01.09.2017 Schüler in dieser Schule. Für die Unrichtigkeit dieser Bescheinigung gibt es keine Anhaltspunkte. Da die Vorgänge der Ausländerakten im August 2017 enden, sind auch keine Anzeichen für einen weiteren Aufenthalt des Klägers seit der Auflösung der Wohnung im August 2017 ersichtlich.

94

3. Der Kläger hat erstmalig am 04.10.2016 einen Folgeantrag im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG beim Bundesverwaltungsamt gestellt, indem er erneut seine Aufnahme als Spätaussiedler unter Berufung auf die Rückkehr in das Herkunftsgebiet beantragt hat.

95

Es kann dahinstehen, ob ein Folgeantrag – wie hier – auch schon vor dem bestandskräftigen Abschluss des Härtefallaufnahmeverfahrens gestellt werden kann. Gegen eine Gleichzeitigkeit der Anträge spricht schon der Begriff des „Folgeantrags“, also eines Antrags, der dem Härtefallaufnahmeantrag nachfolgt. Außerdem schließen sich ein Härtefallaufnahmeantrag und ein Folgeantrag im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG nach dem systematischen Zusammenhang des Gesetzes gegenseitig aus. Denn der Härtefallantrag setzt einen Wohnsitz im Bundesgebiet voraus, während mit dem Folgeantrag geltend gemacht wird, dass wieder ein Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet besteht.

96

Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung aber die noch anhängige Klage gegen die Ablehnung des Härtefallantrages zurückgenommen hat, ist der Ablehnungsbescheid vom 21.02.2017 bestandskräftig geworden und das frühere Aufnahmeverfahren abgeschlossen. Demnach handelt es sich nunmehr um einen Folgeantrag, der Grundlage einer erneuten Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes über den Aufnahmeanspruch sein kann.

97

Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG liegen somit vor, sodass der ursprüngliche Wohnsitz des Klägers im Aussiedlungsgebiet als fortbestehend gilt.

98

Der Kläger erfüllt auch nach dem erneuten Verlassen des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen für die Anerkennung der Spätaussiedlereigenschaft. Insbesondere ist er nach § 6 Abs. 2 BVFG in der nun anwendbaren Fassung des 10. Änderungsgesetzes deutscher Volkszugehöriger.

99

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft ist die Einreise des Spätaussiedlers zum Zweck der dauernden Aufenthaltnahme im Bundesgebiet,

100

vgl. BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 – 1 C 29.14 – juris.

101

Da der Wohnsitz des Klägers im Aussiedlungsgebiet als fortbestehend gilt, kann es nun nicht mehr auf die Einreise des Klägers im Oktober 2012 im Härtefallaufnahmeverfahren ankommen. Vielmehr ist der Kläger wie ein erstmaliger Antragsteller zu behandeln, der seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet hat. Auf seinen Folgeantrag findet daher § 6 Abs. 2 BVFG in der aktuellen Fassung Anwendung.

102

Danach ist deutscher Volkszugehöriger, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann auch durch den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erbracht werden. Das Bekenntnis muss ferner bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können.

103

Diese Voraussetzungen sind im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erfüllt. Die Mutter des Klägers ist inzwischen als deutsche Staatsangehörige und als deutsche Volkszugehörige anerkannt.

104

Der Kläger hat sich durch die Änderung der Nationalitätseintragung in „Deutsch“ in der am 27.10.2016 neu ausgestellten Geburtsurkunde seines Sohnes J1. zum deutschen Volkstum bekannt. Außerdem hat er auch durch Vorlage des Original-Zertifikats des Standards B1 in der deutschen Sprache vom 08.10.2014 ein Bekenntnis auf andere Weise erbracht. Der Annahme eines Bekenntnisses steht die ursprüngliche Eintragung der russischen Nationalität im Inlandspass des Klägers nicht entgegen, da das Gesetz ein durchgängiges Bekenntnis nicht mehr verlangt. Die Frage, ob in der Änderung der Nationalität lediglich ein unbeachtliches Lippenbekenntnis liegt, stellt sich hier nicht. Denn der Kläger hat bei der Ausstellung des ersten Inlandspasses wegen der seinerzeitigen ukrainischen und russischen Nationalität seiner Eltern keine Möglichkeit einer Wahl der deutschen Nationalität gehabt und damit auch kein Gegenbekenntnis abgegeben.

105

Die Fähigkeit zur Führung eines einfachen Gesprächs in deutscher Sprache ist durch die Vorlage des Zertifikats der Stufe B1 nachgewiesen. Die Beklagte erkennt diesen Standard nach der Aussage des Vertreters in der mündlichen Verhandlung in ständiger Verwaltungspraxis als gleichbedeutend mit der Fähigkeit zur Führung eines einfachen Gesprächs an. Der Umstand, dass das Zertifikat im Jahr 2014 erworben worden ist, ist hier nicht relevant. Der Kläger hat insgesamt mehr als 4 Jahre im Bundesgebiet gelebt und befindet sich seit gut einem Jahr wieder in seiner Heimat. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er die erworbenen deutschen Sprachkenntnisse wieder verloren hat.

106

Die Beklagte ist daher verpflichtet, dem Kläger den beantragten Aufnahmebescheid zu erteilen.

107

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

108

Die Berufung ist zugelassen worden, da die Rechtssache im Hinblick auf den Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG grundsätzliche Bedeutung hat.

 

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