klage gegen Bundesrepublik Deutschland
SCHULSYSTEM IN HESSEN
„Jeder kann jetzt noch klagen“
vonPeter Hanack
Die Rechtsanwältin Sibylle Schwarz spricht über die richtige Schulwahl und das Recht aufs Wunschgymnasium.
Für das nächste Schuljahr haben 500 Frankfurter Grundschulkinder keinen Platz an einem ihrer drei Wunschgymnasien erhalten. Elf Eltern hatten dagegen vor Gericht geklagt und für ihre Kinder den Wunschplatz erstritten, weil das Staatliche Schulamt nachgab. 489 andere Kinder aber gingen leer aus.
Frau Schwarz, haben jene bekommen, was sie wollten, die am lautesten geschrien haben?
Na ja, das laute Schreien hat jedenfalls funktioniert.
Warum hat das funktioniert?
Weil die Familien vor Gericht gezogen sind.
Aber das Gericht musste doch gar nicht mehr entscheiden. Das Staatliche Schulamt hat den Klägern ihren Wunsch erfüllt, die Kinder konnten auf
das gewünschte Gymnasium gehen, die Eilanträge der Eltern waren hinfällig.
So eine Behörde wie das Staatliche Schulamt hat eine Riesenangst, dass die Gerichte den Klagen eines Bürgers recht geben. Dann nämlich nennt das Gericht seitenlang Gründe für seine Entscheidung und zählt Versäumnisse oder Fehler der Behörde auf, macht allgemeine Aussagen, auf die sich andere dann auch berufen könnten. Das will man vermeiden, deshalb wurde den Klägern ihr Anliegen erfüllt, so dass das Gericht eben keine Entscheidung mehr treffen konnte. Die Behörde gibt lieber nach, um der Gefahr zu entgehen zu verlieren. Das zeigt auch die Erfahrung aus anderen Verfahren.
In diesem Fall hat das Schulamt gesagt, wir geben euch elf Klägern eure Wunschschule, obwohl wir das Verteilungsverfahren rechtlich für
völlig in Ordnung halten. Hatten die Kläger denn rechtlich überhaupt eine Chance?
Einen Rechtsanspruch auf eine Wunschschule gibt es nicht. Bisher haben Gerichte immer gegen Eltern entschieden, die dafür geklagt haben. Es gibt lediglich einen Anspruch auf einen bestimmten Bildungsgang, also etwa das Gymnasium.
Und was war jetzt anders?
Vielleicht hat das Gericht ja signalisiert, die Rechtsprechung ändern zu wollen. Schließlich handelt es sich hier nicht um Einzelfälle, sondern es geht um 500 Kinder, die Schulen zugewiesen werden sollen, auf die sie nicht gehen möchten. Das ist eine gewaltige Zahl.
Haben die elf Kläger sich vielleicht auch deshalb durchgesetzt, weil da möglicherweise ordentlich Geld im Hintergrund war, sich diese Eltern den Rechtsstreit im Unterschied zu anderen finanziell leisten konnten?
Die ganze Angelegenheit hat bei Gericht 162 Euro je Klage gekostet, jedenfalls, solange kein Anwalt beteiligt war. Aber auch mit Anwalt kostet so etwas lediglich wenige hundert Euro, also kein Vermögen.
Das Schulamt sagt, es habe nachgegeben, damit es endlich allen 5000 Viertklässlern die Bescheide für die Zuweisung für das nächste Schuljahr zuschicken konnte.
Das hat miteinander überhaupt nichts zu tun. Die Bescheide hätten auch rausgeschickt werden können, ohne dass über die Klagen der elf entschieden worden wäre.
Schafft das Staatliche Schulamt durch sein Nachgeben nicht ein großes Problem, weil spätestens im nächsten Schuljahr die Klagewelle noch viel größer werden wird?
Die Eltern, die nächstes Jahr für ihr Kind die Wunschschule wählen, wissen wahrscheinlich nicht, dass es dieses
Jahr die erfolgreichen Klagen gab. Ich finde es schade, dass es keine Welle geben wird. Es sei denn, die Elternbeiräte bleiben und informieren nächstes Jahr die Eltern entsprechend. Insgesamt aber wird die Zahl von Klagen sicher steigen. Denn dieses Aufnahmeverfahren ist eine einzige Katastrophe.
Wieso?
Die Kinder werden individueller, die Eltern engagieren sich immer mehr. Da gibt es ein Kind mit einer gefährlichen Allergie, die Eltern wollen ihr Kind in der Nähe wissen, damit sie schnell helfen können. Das Kind bekommt eine Schule, die eine Stunde Busfahrt entfernt ist. Ein anderer Vater weiß, dass er bald nach Spanien versetzt wird, will seinen Sohn ab Klasse 5 Spanisch lernen lassen. Auch das klappt nicht. Solche Fälle gibt es viele. Das
Verfahren nimmt auf die Individualitäten einfach überhaupt keine Rücksicht. Deshalb geht es oft nicht ohne Klage.
Es ist nun mal ein Massenverteilverfahren. Wie soll man da jeden individuellen Wunsch berücksichtigen?
Aber es ist unerträglich. Das geht so nicht weiter wie bisher. Die Familien entscheiden ja nicht aus dem Bauch heraus. Die gehen ab September zu den Tagen der offenen Tür, lesen Schulprofile, besuchen jeden Probeunterricht mit ihren Kindern. Wenn es dann mit der Auswahl der Schule nicht klappt, haben diese Familien handfeste Probleme. Vielleicht muss man eben Personal einstellen, dass diese individuellen Bedürfnisse entsprechend würdigt – und auf dem Anmeldebogen den Eltern mehr als zwei Zeilen Platz lassen, ihre Wahl zu begründen.
Sind die Frankfurter nicht ohnehin privilegiert? Selbst eine
weiter entfernte Schule ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Regel in einer halben Stunde zu erreichen. In Waldeck-Frankenberg würde man sich über so kurze Fahrtzeiten freuen.
Eltern wollen ihre Kinder heute oft gerne selbst zur Schule fahren, machen sich über den Schulweg mehr Sorgen als früher. Deshalb sind die weiteren Wege für sie häufig ein Problem.
Was passiert, wenn jetzt der Zwölfte vor Gericht zieht, um das Wunschgymnasium für sein Kind zu erstreiten? Hat denn das Nachgeben des Schulamts einen Präzedenzfall geschaffen und hat jetzt jeder damit das gleiche Recht auf einen Wunschplatz?
Das lässt sich daraus nicht folgern, da es für die Zuweisung im Falle der elf Kläger auch keinen Rechtsanspruch gibt.
Ist eine Klage jetzt überhaupt noch
möglich?
Selbstverständlich kann jeder klagen, der das für richtig und nötig hält.
Widerspruch beim Staatlichen Schulamt einlegen
Das Staatliche Schulamt sagt, jetzt, wo die Zuweisungsbescheide an die Eltern verschickt wurden, müssten diese erst einmal Widerspruch dagegen einlegen. Dann könne das Schulamt diesen Widerspruch bescheiden. Falls die Eltern mit dem Widerspruch nicht einverstanden wären, könnten sie dagegen klagen. Das alles aber dauere viel zu lange, um sein Kind zum nächsten Schuljahresstart noch an die Wunschschule zu bekommen.
Wer vor Gericht zieht, muss damit rechnen, dass es ungefähr einen Monat bis zu einer Entscheidung dauert. Kalkulieren wir einen zweiten Monat für die zweite Instanz dazu.
Man könnte sein Kind also noch in das nächste Schuljahr in die Wunschschule reinbugsieren?
Dafür ist
noch genug Zeit.
Und was müssen Eltern dafür tun?
Sie müssen mit ihrem Personalausweis und einer Kopie des Anmeldebogens und dem Schreiben der Aufnahmeschule zur Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts gehen und dort den Antrag stellen, das Land Hessen auf dem Weg der einstweiligen Anordnung nach Paragraf 123 VwGO zu verpflichten, ihr Kind vorläufig für das Schuljahr 2015/2016 in die Jahrgangsstufe 5 der Wunschschule aufzunehmen.
Das ist Ihr Rat an die Eltern?
Bevor man zu Gericht zieht und in ein Eilverfahren einsteigt, kann man auch zunächst Widerspruch beim Staatlichen Schulamt einlegen. Das sieht man auch bei Gericht gern. Wenn sich beim Schulamt nach zwei, drei Wochen immer noch nichts getan hat, ist noch genug Zeit für den Weg zum Gericht.
Interview: Peter Hanack