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Über nationale Empfindsamkeit

17.09.06 12:45
Über nationale Empfindsamkeit
 
Последний раз изменено 17.09.06 12:51 (моргана)
Die folgende Bemerkung eines unserer Teilnehmer hat mich zum Nachdenken gebracht:
Komisch, in einer anderen Gruppe, in der ich auch aktiv bin, gibt es Auseinandersetzungen (über die russenfeindliche Witze)nicht. Aber da sind überwiegend Russen (meist in ihrer Heimat). Scheinbar ändern sich die Auffassungen bei einigen mit dem Umzug.
Ist es wirklich so? Werden die Witze, Klischees oder abfällige Bemerkungen über unsere Abstammung nach dem Umzug nach Deutschland anders bewertet? Werden wir empfindlicher, solchen Sachen gegenüber? Und warum passiert das? Ich habe versucht, diese Fragen mit Hilfe meiner Erfahrungen und Beobachtungen zu beantworten.
1. Das Gefühl der Zugehörigkeit
Wenn man in einem Land aufgewachsen ist, seine Kultur, seine Sprache, seine Sitten und Bräuche in sich hineingesaugt hat, so empfindet man eine Zugehörigkeit zu diesem Land. Das Heimat-Gefühl- ein Gefühl in der Gruppe Deinesgleichen zu sein. Da fühlt man sich sicher. Kommt jemand von Außen und behauptet etwas schlechtes über deine Nationalität, so weißt du dass du nicht alleine bist, es gibt viele, denen diese Eigenschaft zugeschrieben wird und sie stehen hinter dir. So empfindest du unbewusst den Angriff nicht als Bedrohung und kannst darüber lachen.
Kommt man in ein anderes Land, so wird man in eine fremde Umgebung hinein geschmissen. Hier werden die Rollen anders verteilt- man ist nicht einer von den Vielen, sondern man ist allein unter Vielen. Werden jetzt die schlechten Eigenschaften deiner Nationalität zugeschrieben, so wirst du von der Masse ausgegrenzt und dieses Gefühls der Zugehörigkeit beraubt. Ein scheinbar harmloser Witz über deine Abstammung wird also unbewusst als ein Angriff gegen dich persönlich empfunden. Und ob du damit umgehen kannst- ist deine Sache.
2. Repräsentativer Außenseiter
Mit 15 Jahren bin ich in die 10. Klasse des deutschen Gymnasiums gekommen. Ich konnte kaum Deutsch und war in den ersten Monaten eher eine stumme Teilnehmerin als vollwertige Schülerin und wurde dementsprechend von meiner Umgebung registriert. Nach dem ersten Halbjahr änderte es sich, und im nächsten Halbjahreszeugnis wurden die Sternchen durch gute Noten ersetzt. Ich schwärmte damals von einem Geschichte- und Gesetzeskunde-Lehrer und besuchte sein Unterricht besonders gerne. Eines Tages, in Gesetzeskunde kam aber ein Gespräch über die Integration von den Ausländern auf. Da ich dabei war, wurde das Gespräch ganz speziell auf die Aussiedler umgedreht. Dann fing der Lehrer an, die Integrationsprobleme aufzuzählen- Die Aussiedler saufen, wollen nicht arbeiten, bilden ihre eigenen Gettos, haben keinen Hang zum Erlernen der Sprache...
Ich saß da und spürte die Blicke meiner Mitschüler in meinem Rücken. Ich vermochte nicht aufzusehen, denn mir verschwamm alles vor Tränen und ich hatte Angst, dass es jemand bemerkt. Meine Mitschüler, die meine Entwicklung persönlich verfolgt haben, die fast jeden Morgen meine Mathe-Aufgaben abgeschrieben haben, vor jeder Chemie oder Physik- Prüfung darüber gezankt haben, wer diesmal hinter mir sitzt, hören Schlechtes über meine Landsleute, sehen mich an und sagen kein Wort dagegen! Für sie repräsentiere ich meine Völkergruppe und alles schlechte, was darüber erzählt wird. Würde dieses Gespräch bei ihnen in der Familie aufkommen, würden sie nur sagen- "ja, ja, wir haben auch eine Russin in der Klasse"
Jeder von uns ist von der Tatsache des repräsentativen Aussenseiter-Daseins konfrontiert worden.
Seien es, die schlechten Nachrichten aus Russland, Diskussionen über die Geschichte und Fehler der Sowjetunion oder über miserable Umstände in Russland- immer wird es (bewusst oder unbewusst ) zu uns hingeschaut. Und will man es oder nicht, man muss sich mit der Tatsache abfinden, dass man dabei einen Außenseiter repräsentiert.
3. Identitätskrise
"Dort sind wir die Deutschen, die Faschisten gewesen, hier sind wir die Russen"- Diesen Satz höre ich so oft, dass er mir mittlerweile auf den Magen schlägt.
Vor allem die älteren Aussiedler, können sich nicht damit abfinden, dass sie früher wegen ihrer deutschen Nationalität in Russland verfolgt wurden, aber hier in Deutschland (Ich habe von meiner Oma immer "das dajtsche Vaterland" gehört), plötzlich von der Allgemeinheit als die Russen wahrgenommen werden. Sein ganzes Leben lang musste man sich deutsch nennen und dafür gerade stehen, doch plötzlich nach der Einreise in die "gesegnete Heimat" (habe ich auch von Oma) ist man zum Russen geworden und muss sich für das ganze Unheil verantworten lassen, was den Russen zugeschrieben wird.
Wenn das keine Identitätskrise ist!
4. Mimikry, Auflehnung und so weiter
Alles, worüber ich oben erzählt habe, ist natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich, die einen nehmen es besonders deutlich wahr, die anderen überspielen es, die einen lehnen sich dagegen auf, die anderen verdrängen es.
Es gibt welche, die versuchen Ihre Herkunft zu leugnen- ich lache immer über solche Leute- es steht ihnen im Gesicht geschrieben, aber wenn man sie auf Russisch anredet, machen sie große Augen und springen zur Seite, nur um weiter vorgeben zu können, Einheimische zu sein.
Die Verdrängung äußert sich meistens in einer Globetrotter- Bekenntnis- "Die nationalen Probleme gehen mich nichts an, denn ich selbst bin international"
Und die Auflehnung äußert sich in der radikalen Bekenntnis- ein Russe zu sein.
All dies sind die Schutzmechanismen, die augrund der Konfrontation mit den oben beschriebenen Problemen entstanden sind. Doch das Problem des Heimatverlustes und des Außenseiterdaseins bleibt immer präsent. Und die Kratzer an ihrer Oberfläche (wie zum Beispiel Verallgemeinerungen und Witze über deine Nationalität) sind immer noch schmerzhaft.
Dies ist nur mein Versuch, die verschärfte Reaktion auf die Russen-Witze zu erklären, ist kein "der Weisheit letzter Schluss" und kann und muss diskutiert und angefochten werden.

 

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