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Wie deutsch sind Russlanddeutsche?

21.06.10 17:09
Wie deutsch sind Russlanddeutsche?
 
eichelberg гость
eichelberg
– darum ging es in meinem Vortrag im Gerhart-Hauptmann-Haus am 21. Juni 2010. Es wurden die Ergebnisse
von empirischen Studien zum Thema der Identität von Russlanddeutschen analysiert. Unten folgen einzelne Auszüge mit Links.
1.
Es gibt schon eine ganze Reihe von Publikationen von jungen russlanddeutschen Forschern. Darunter sind:
Dr. Svetlana Kiel: Wie deutsch sind Russlanddeutsche? Eine empirische Studie zur ethnisch-kulturellen Identität in russlanddeutschen Aussiedlerfamilien. Waxmann Verlag (Münster/New York/Berlin/München) 2009:
www.amazon.de/deutsch-Russlanddeutsche-ethnisch-kulturellen-russlanddeuts...
Schnar Natalie. Sprache als Kriterium ethnischer Identität. Eine empirische Studie zum Stellenwert des Russischen im Ethnizitätskonzept russlanddeutscher Jugendlicher in der Diaspora Deutschland. Hamburg 2010:
http://www.verlagdrkovac.de/3-8300-4950-1.htm
2.
Wie stark identifizieren sich die Russlanddeutschen mit Deutschland? Studie zum Vergleich der Zugehörigkeitswahrnehmung von Migranten in Münster und in Enschede (Niederlanden):
Die befragten Neuzuwanderer in Enschede identifizieren sich immer häufiger mit den Niederlanden (50 % der Befragten).
Die Selbstidentifizierung als Deutsche nimmt bei den Spätaussiedlern in Münster deutlich ab: 2004 haben 42 % der Befragten in Münster von einem ziemlich starken Gefühl als Deutsche berichtet.
2005 - 32 %, 2006 - 30 % (dabei 23 % der Befragten wurden nach dem deutschen Recht als deutsche Volkszugehörige anerkannt).
www.muenster.de/stadt/zuwanderung/pdf/2007zusatzstudie_zuwanderer-kontakt... S.35.
Was bedeutet die Eigenschaft „deutsch“ für die Spätaussiedlern?
1) „Wenn du unter Ausländern bist, dann kannst du dich als Deutscher fühlen, wenn du unter Deutschen bist, dann kannst du dich nicht als Deutscher fühlen.
Wunsch, mein Recht ist, nicht als Ausländer sondern als Mensch gesehen zu werden, der Rechte hat. Deutsche sind die, die hier geboren sind“.
2) „Soweit ich nach Kasachstan komme, fühle ich mich als Deutsche und betrachte die Einheimischen dort von einem anderen Blickwinkel,
weil ich vielleicht auch etwas Deutsch kann. In Deutschland bin ich nur zu 50 % deutsch, weil ich die Sprache noch nicht so gut beherrsche und die Kultur nur wenig kenne“.
3) „Ich werde als Russin wahrgenommen, ich fühle mich aber trotzdem als Deutsche. Wer ist deutsch? Deutsche sind ehrlich und ordentlich, das habe ich meinen Kindern immer so gesagt“. Ebd. S.38.
Auch diejenigen, die behaupten, dass sie keine Deutsche sind, fühlen sich der deutschen Gesellschaft dennoch zugehörig. Die Zugehörigkeitsgefühle bei älteren Russlanddeutschen sind stabiler.
3.
Das ‚Deutschtum’ von den Spätaussiedlern wird kontrovers diskutiert. Dr. Maria Savoskul unterscheidet beispielsweise drei Typen ethnischer Selbstidentifizierung der Russlanddeutschen:
Es sind 'echte Deutsche', die sich selbst als Deutsche zuordnen, 'Russlanddeutsche', die sich zwischen zwei Welten bewegen, und 'Russen', die sich weder für Russen noch für Deutsche halten
(Savoskul M. In: Sabine Ipsen-Peitzmeier, Markus Kaiser (Hg.)Zuhause fremd. Russlanddeutsche zwischen Russland und Deutschland. 2006: S.211-215)
http://www.transcript-verlag.de/ts308/ts308.php
books.google.de/books?id=Gt0FicaEaYgC&pg=PA197&lpg=PA197&dq=Savoskul+2006...
Diese Typologie ist sehr abstrakt. In der Wirklichkeit ist die ethnische Gruppe der Russlanddeutschen sehr heterogen. Die Typologie im Buch:
Fuchs, Marek, Thomas Schwietring und Johannes Weiß, 1999b: Leben im Herkunftsland. S. 69-90 in: Rainer K. Silbereisen, Ernst-Dieter Lantermann und Eva Schmitt-Rodermund (Hg.):
Aussiedler in Deutschland. Akkulturation von Persönlichkeit und Verhalten. Opladen: Leske und Budrich.
1) „verschüttete deutsche Identität“ weist schwache Ausprägung des „Deutsch-Seins“ auf,
2) „postulierte deutsche Identität“ – starke Identifizierung mit der deutschen Herkunft und schwache kulturelle Alltagspraxis,
3) „realisierte deutsche Identität“ – umfassende Assimilation,
4) „alternative kulturelle Identität“ – hohe Ausprägung der deutschen Kultur und schwache Identifizierung mit der deutschen Herkunft.
Dr. Svetlana Kiel definiert andere 5 Typen:
1) „Nicht richtige Deutsche“. Sie weisen eine starke Verwurzelung in der Kultur der Deutschen in Russland auf. In Russland haben sie ihre russlanddeutsche Identität bewahrt
und sich von der russischen Kultur abgegrenzt. In Deutschland sind sie auch von der bundesdeutschen Kultur abgegrenzt.
2) Deutsche mit Makel. Sie definieren sich als deutsch, aufgrund ihrer kulturellen russischen Zusatzkomponente als Deutsche mit Makel.
In Russland haben sie auch ihre russlanddeutsche Identität gepflegt. In Deutschland ziehen sie auch in die eigene Gruppe.
3) Deutsche mit „russischem Glanz“. Sie strebten auch zur Bewahrung des Russlanddeutschtums in Russland. In Deutschland empfinden sie ihre Andersartigkeit als Bereicherung
und kommen zu einer positiven ethnisch-kulturellen Selbstdefinierung. Vor allem die jüngere Generation lebt in einer generellen Offenheit gegenüber der bundesdeutschen Gesellschaft
und strebt eine Integration in das intellektuelle Milieu der Bundesdeutschen an.
4) Die „wahren Deutschen“. Sie weisen während ihres Lebens in Russland nicht nur eine starke Verwurzelung in der deutschen Kultur, sondern auch eine starke Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit auf.
Die Mitglieder dieses Typus verfolgen im privaten Bereich einen Rückzug in die eigene russlanddeutsche religiöse Gruppe.
5) Die „sowjetischen Leute“. Sie gehören vorrangig der russischen Kultur an. Sie behalten in Deutschland ihre Identität nach dem Prinzip des Mischens von Kulturen bei und streben eine Mehrkulturalität an.
(Svetlana Kiel: Wie deutsch sind Russlanddeutsche? 2009. S.155-159.)
4.
Der "Opferstatus" ist ein zentrales Element der russlanddeutschen Identität, der auch in dem Bewusstsein der Kindergenerationen bleibt.
Dr. Viktor Krieger kommt sogar zum Schluss: "Nicht die Sprache oder der Glauben, nicht die Herkunft oder die kulturellen Überlieferungen,
sondern in erster Linie die kollektiven Erfahrungen der Ächtung und alltäglichen Anfeindungen, der Erniedrigung und Entrechtung,
der Einweisung in Zwangsarbeitslager und das Leben als Sondersiedler unter Kommandaturaufsicht schufen letztendlich ein übergreifendes
Gemeinsamkeitsgefühl und prägen bis heute das nationale und historische Bewusstsein der Minderheit" (Heimatbuch,2007/2008. S.31.)
Deswegen ist es so wichtig die Erlebnisse der russlanddeutschen Zwangsarbeiter in den Schulunterricht einzubeziehen. Aber dieses identitätsbildende Element bleibt vernachlässigt.
Hinsichtlich der russlanddeutschen Identität gibt es Unterschiede zwischen den Generationen. Die Russlanddeutschen hatten in der ehem. UdSSR seit den 70er Jahren einen guten Ruf.
Hohe Leistungsfähigkeit, Fleiß, Sauberkeit, gegenseitige Hilfsbereitschaft, Liebe zur Ordnung wurden geschätzt, und das hat auch positive Ausgestaltung der russlanddeutschen Identität geprägt.
5.
Ein großer Teil der Russlanddeutschen gehört zu der Freikirche. Ein wichtiges Buch über die russlanddeutschen Aussiedler in Deutschland:
John N. Klassen: Russlanddeutsche Freikirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Grundlinien ihrer Geschichte, ihrer Entwicklung und Theologie.
edition afem – mission academics 27. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft & Nürnberg: Verlag für Theologie und Religionswissenschaft. 444 S.
ISBN 978-3-938116-36-4 (VKW). ISBN 978-3-937965-87-1 (VTR). 2007
„Die baptistisch-mennonitischen Aussiedler in Deutschland zählten Ende 2007 rund 87.000 Menschen. ...
1998 gab es 370 Aussiedlergemeinden. Diese Zahl wuchs auf über 500 Gemeinden in 2007“. S.2:
gbfe.org/index.php?view=article&catid=30%3Aaktuelles&id=175%3Apressenotiz...
6.
Wie deutsch sind die jungen Migranten in Deutschland? Wie stark identifizieren sich sie mit Deutschland? Ergebnisse der Forschungen zur Identität von Migranten in Deutschland und Israel:
http://www.migration.uni-jena.de/project5/identity/self_labeling/index.php?img=1
Die Kompetenz in der Landessprache ist entscheidend. Aber das ist nicht alles. Die Grafik verdeutlicht, dass nur 9% der jungen Migranten mit guten Sprachkenntnissen sich als Deutsche fühlen und 65% als Israeli.
Jugendliche Migranten leben in einem Spannungsfeld verschiedener Wertesysteme und so entwickelt sich ihre Identität weiter.
 

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