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Rede des Aussiedlerbeautragten
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in Antwort shrink 17.05.03 19:14
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Irene Tröster
SWR International
Stuttgart
i.troester@gmx.de
Wann ist man integriert?
Das Integrationsverständnis der Medien und Russlanddeutscher im
Vergleich
Ich bin Russlanddeutsche. Und ich bin voll integriert, sagen meine einheimischen Freunde und Bekannte. Sie sagen es als Kompliment und meinen damit, dass man mir meine Herkunft eigentlich nicht mehr anmerkt. Und das stimmt. Ich habe einen deutschen Namen und spreche gut Deutsch. Meine Nachbarn wissen nicht, dass ich Russlanddeutsche bin. Meine Freunde und Bekannte sind fast ausschließlich Einheimische. Selbst das Essen ist bei mir Schwäbisch. Wenn Gäste kommen, backe ich Träubleskuchen und zum Abendessen gibt es handgemachte Kässpätzla mit Kartoffelsalat. Ich gebe zu, ich habe einen Samowar im Wohnzimmer stehen. Aber so ein bisschen Nostalgie schadet nicht. Und meine einheimischen Gäste sind ganz wild auf Samowartee. Ich spreche in der Öffentlichkeit nicht Russisch, ich gehe zur Wahl, bin Mitglied in einem Verein und besitze Goethes gesammelte Werke. Wie gesagt, ich bin voll integriert.
Und Olga und Waldemar Krenzke? Sind die auch voll integriert. Sie sprechen leidlich Deutsch, aber eben mit Akzent. Olga trägt immer noch diese typisch russischen Rotgoldohrringe. Die beiden arbeiten, nicht gerade in ihrem Traumjob. Aber immerhin konnten sie sich vor zwei Jahren ein Haus bauen. Sie fühlen sich wohl in Klein-Kasachstan, wie die Anwohner das Russenviertel ihrer Stadt nennen. Langweilig wird ihnen nie. Sie haben viel Kontakt zu den russlanddeutschen Nachbarn. Am Wochenende kommen Verwandte und alte Freunde zu Besuch. Und über Satellit empfangen sie mehrere russischsprachige Fernsehprogramme. Über das Leben in der alten Heimat informieren sie sich über eine russische Wochenzeitung. Privaten Kontakt zu Einheimischen haben sie nicht. Und auch ihre Kinder haben ausschließlich russlanddeutsche Freunde.
Sind die Krenzkes integriert? Na klar, sagen sie. Nein, sagen die Einheimischen an ihrem Wohnort. Und auch dem Integrationsverständnis der Medien zufolge sind die Krenzkes keineswegs als integriert zu bezeichnen.
Der Medienberichterstattung liegt ein Integrationsverständnis zugrunde, das hohe Anforderungen an Zuwanderer stellt. Neben guten Deutschkenntnissen und der Achtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands wird von Zuwanderern erwartet, dass sie sich im öffentlichen Leben unauffällig verhalten und dass sie möglichst rasch in der Aufnahmegesellschaft aufgehen Als wichtigste Kennzeichen gelungener Integration gelten soziale Kontakte zu Einheimischen und vollständige Assimilation. Dass Zuwanderer sich auch in der zweiten und dritten Generation noch in └erschreckenden Parallelwelten⌠ abschotten, so der SPIEGEL, oder sich weigern, └Gleiche⌠ zu werden, wie es in der ZEIT heißt, wird als eindeutiges Zeichen fehlender Integrationsbereitschaft gewertet.
Gemessen an diesem Integrationsverständnis sind, denke ich, die meisten Russlanddeutschen als nicht integriert zu bezeichnen. Sie haben wenig Kontakt zu Einheimischen, leben in separierten Wohngegenden, sprechen nicht unbedingt gut Deutsch und fallen durch ihr Verhalten und ihr Äußeres auf.
Was ist los mit den Russlanddeutschen? Wollen sie sich einfach nicht integrieren, wie ihnen vielfach unterstellt wird? Sicher gibt es Russlanddeutsche, bei denen das Fall ist. Die meisten Russlanddeutschen aber wollen sich integrieren. Und viele dieser Russlanddeutschen, die nicht perfekt Deutsch können, die in sogenannten Russenghettos leben und keinen Kontakt zu Einheimischen haben, fühlen sich tatsächlich auch integriert. Warum eigentlich? Weil sie ein anderes Verständnis von Integration haben als die deutsche Gesellschaft.
Wann ist man integriert? war eine der zentralen Fragen meiner Untersuchung zum Integrationsverständnis Russlanddeutscher, die ich an der Universität Hohenheim durchgeführt habe. Die Ergebnisse basieren auf intensiven Gesprächen mit 19 erwachsenen Russlanddeutschen, die zum Befragungszeitpunkt teilweise seit einigen Monaten in Deutschland lebten, teilweise seit über 20 Jahren.
Ich konnte bei diesen Befragten drei verschiedene Auffassungen von Integration finden:
1. Man ist integriert, wenn man im Alltag selbständig zurechtkommt.
2. Man ist integriert, wenn man mit den Einheimischen mithalten kann.
3. Man ist integriert, wenn man den Einheimischen gleicht.
Unter Verallgemeinerung meiner natürlich keineswegs repräsentativen Ergebnisse kann man folgenden Integrationsziele Russlanddeutscher formulieren:
1. Das Integrationsziel └Zurechtkommen⌠ oder, um in der Fachterminologie zu bleiben, die Eingliederung.
2. Das Integrationsziel └Mithalten⌠ bzw. Partizipation.
3. Das Integrationsziel └Gleichen⌠ bzw. Assimilation.
Für jedes dieser Integrationsziele lassen sich zwei Zieldimensionen unterscheiden, die ich im Folgenden darstellen will.
Die meisten Befragten und meiner Einschätzung nach auch die meisten Russlanddeutschen streben das Integrationsziel └Zurechtkommen⌠ an. Integrationsziel ist das Wiedererlangen von Selbständigkeit. Selbstständigkeit gilt als erreicht, wenn man selbständig lebt und sich selbst versorgt, d.h. wenn man über alltagstaugliche Deutschkenntnisse verfügt, in den Wohnungsmarkt integriert ist, selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann und über so viel Alltagskompetenz verfügt, dass man sein Leben ohne fremde Hilfe meistern kann. Für einige Befragte gehört zum Zurechtkommen, dass sie auch mit den Einheimischen in ihrem Umfeld zurechtkommen. Das heißt, dass die soziale Interaktion im Wohnumfeld und bei sonstigen Alltagsbegegnungen reibungslos klappt.
Dieses Integrationsziel zu erreichen, dauert nach Erfahrung der Befragten unter günstigen Umgebungsbedingungen, das heißt, bei ausreichend Sprachförderung und sonstiger Eingliederungshilfe und einer passablen Arbeitsmarktlage, ein bis zwei Jahre.
Das zweite Integrationsziel ist ⌠Mithalten⌠. Auf dem Weg zur Integration lassen sich zwei Etappen unterscheiden: An erster Stelle steht wieder das Erreichen von Selbständigkeit. Als voll integriert gilt man aber erst, wenn man entweder so gut leben kann wie die Einheimischen, also in der Terminologie von Hartmut Esser ausgedrückt, strukturell assimiliert ist. Oder wenn man fachlich mitziehen kann, das heißt über das gleiche Alltagswissen und die gleiche berufliche Kompetenz verfügt wie einheimische Kollegen, also kognitiv assimiliert ist.
Auch das Integrationsziel └Mithalten⌠ kann nach Ansicht der Befragten innerhalb von zwei bis vier Jahren erreicht werden. Wer es in dieser Zeit nicht schafft, den gleichen Lebensstandard oder den gleichen Wissensstandard zu erreichen wie die Einheimischen, wird ihn der Erfahrung meiner Befragten zufolge auch in Zukunft nicht erreichen.
Die Betrachtung dieser beiden Integrationsziele bestätigt meine anfängliche Behauptung: Russlanddeutsche haben ein anderes Verständnis von Integration als die Aufnahmegesellschaft. Der in Medien und Gesellschaft geforderte Kontakt zu Einheimischen, Unauffälligkeit und das vollständige Aufgehen in der deutschen Gesellschaft, spielen bei der Formulierung dieser beiden Integrationsziele keine Rolle.
Erst das dritte Integrationsziel └Gleichen⌠ kommt dem Integrationsverständnis in Medien und Öffentlichkeit näher. Die Russlanddeutschen, die dieses Integrationsziel anstreben, gehen davon aus, dass man erst dann in Deutschland integriert ist, wenn man sich nicht mehr von den Einheimischen unterscheidet. Sie streben die Angleichung an die Aufnahmegesellschaft nicht deswegen an, weil sie ihre Herkunftskultur nicht schätzen, sondern weil sie merken, dass sie in Deutschland einfach nicht als Deutsche akzeptiert werden, so lange ihnen ihre Herkunft anzumerken ist. Auch hier lassen sich wieder zwei Dimensionen des Integrationsziels unterscheiden: Die einen gehen davon aus, zur Integration bedürfe es zusätzlich zur äußerlichen Angleichung der Übernahmen der Werte der Aufnahmegesellschaft, ihrer Traditionen und ihrer Kultur, der sogenannten identifikativen Assimilation. Integriert ist man diesem Verständnis zufolge, wenn man ganz so ist wie die Einheimischen. Die anderen halten äußerliche Angleichung für ausreichend. Integriert ist man, wenn den Einheimischen nicht gleich auffällt, dass man nicht hier geboren ist. Die Aufgabe der mitgebrachten Kultur, der Werte und Traditionen ist dazu nicht erforderlich. Wer hier Übernehmenswertes vorfindet, kann dies in das mitgebrachte Wertesystem und die mitgebrachte Kultur integrieren. Geschwindigkeit und Umfang bleibt jedem Russlanddeutschen selbst überlassen.
Die Befragten mit Integrationsziel └Gleichen⌠ haben alle schnell bemerkt, dass sie ihr Integrationsziel trotz aller Bemühungen nicht erreichen können. Wer als Erwachsener nach Deutschland kommt, wird schon allein wegen seines Akzents immer als Fremder erkennbar bleiben. Und sie reagieren auf diese Erkenntnis, indem sie ihren Wunsch, den Einheimischen zu gleichen, auf ihre Kinder oder Enkel übertragen, die jung nach Deutschland kamen. Sie gehen davon aus, dass Kindergarten und Schule die zweite und dritte Generation zu └richtigen⌠ Deutschen machen, die sich von ihren einheimischen Gleichaltrigen nicht mehr unterscheiden. Ihren eigenen Integrationsprozess halten auch Russlanddeutsche mit Integrationsziel └Gleichen⌠ mit Erreichen von Selbständigkeit für beendet.
Unter Verallgemeinerung meiner Forschungsergebnisse bleibt also festzuhalten:
Russlanddeutsche lassen sich von einem anderen Integrationsverständnis leiten als die Aufnahmegesellschaft. Ein Hauptunterschied liegt in der Beurteilung der Bedeutung sozialer Kontakte zu Einheimischen. Während Russlanddeutsche sich diese zwar häufig wünschen, sie jedoch nicht für unerlässlich halten, wird soziale Separation in der öffentlichen Integrationsdiskussion als einer der Hauptindikator misslungener Integration bezeichnet. Das von der Aufnahmegesellschaft vehement geforderte Aufgehen von Migranten in der deutschen Gesellschaft strebt ein Teil der Russlanddeutschen zwar an, schafft es jedoch nicht. So markiert das Erreichen von Selbständigkeit für Russlanddeutsche in der Regel das Ende ihrer Integrationsbemühungen - sei es aufgrund ihres Integrationsziels oder aufgrund der Erkenntnis, die eigenen Integrationsmöglichkeiten damit ausgeschöpft zu haben.
Diese unterschiedlichen Vorstellungen von Integration können zu Spannungen und Mißverständnissen führen. Während Russlanddeutsche nicht verstehen, warum die Einheimischen sie trotz ihres Integrationserfolges nicht als integriert bezeichnen, wirft die Öffentlichkeit den Russlanddeutschen zu geringes Integrationsbemühen oder gar fehlende Integrationsbereitschaft vor.
Entschärfen läßt sich dieses Spannungsfeld durch die Beseitigung beidseitiger Informationsdefizite, insbesondere durch die Klärung des Schlüsselbegriffs der Integration. Denn erst wenn die Einheimischen die Integrationsauffassung Russlanddeutscher kennen und Russlanddeutsche wissen, welche Integrationsleistungen die Gesellschaft von ihnen erwartet, wird gegenseitiges Verständnis möglich. Den Medien kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu.
Die Berichterstattung über Russlanddeutsche ist, wie wir bereits gehört haben, geprägt von hoher Negativität und fehlender Normalität. Da Russlanddeutsche meist im Zusammenhang mit Kriminalität oder Arbeitslosigkeit erwähnt werden, erscheinen sie den Einheimischen zwangsläufig als faul, kriminell und fremd, als wenig integrationsbereit, als gesellschaftliches Problem. Dass die meisten Russlanddeutschen hier recht gut zurechtkommen, bleibt ebenso außen vor wie die Probleme, mit denen sie bei ihrer Integration zu kämpfen haben. Eine objektivere Berichterstattung in den Medien könnte sicherlich dazu beitragen, das Image der Russlanddeutschen zu verbessern. Neben der Unterbindung von ethnischen Vorurteilen haben die Medien noch einen anderen Auftrag zu erfüllen: Sie sollten in Einheimischen mehr Verständnis für und mehr Geduld mit Zuwanderer wecken. So könnten sie dazu beitragen, dass Einheimische die für eine Zuwanderungsgesellschaft zwingend erforderlichen angemessene Maßstäbe zur Beurteilung des Integrationserfolgs von Migranten entwickeln. Beispielsweise indem sie ausführlicher über den Alltag und die Schwierigkeiten von Russlanddeutschen in der deutschen Gesellschaft berichten. Oder indem sie aufzeigen, wie schwierig es für Russlanddeutsche angesichts der Verschlossenheit Einheimischer ist, mit diesen in Kontakt zu treten.
Und auch die Russlanddeutschen brauchen meiner Ansicht nach Integrationshilfe durch die Medien. Ich halte es für beispielsweise für gefährlich, wenn Russlanddeutsche den Stellenwert sozialer Integration nicht erkennen. Integration ist meiner Meinung nach auch ohne Kontakt zu Einheimischen möglich. Dennoch halte ich Kontakt zwischen Russlanddeutschen und Einheimischen für äußerst wichtig. Denn selbst oberflächliche Kontakte können zu gegenseitigem Verständnis und zur Ausmerzung oder Relativierung ethnischer Vorurteile beitragen. Nehmen Russlanddeutsche ihre fehlende soziale Integration nur als ihr persönliches, nicht aber als gesellschaftliches Problem wahr, erkennen sie nicht, dass ihre geringe soziale Integration auch die soziale Integration ihrer in Deutschland geborenen Kinder und Enkel gefährden kann. Anstatt sich darum zu bemühen, die deutsche Gesellschaft kennen- und verstehen zu lernen oder wenigstens die Kinder dazu zu ermuntern, geben sie sich der trügerischen Hoffung hin, die zweite und dritte Generation werde ganz automatisch zu gleichwertigen, sozial integrierten Mitgliedern der Gesellschaft. Die Medien könnten sie für diese Gefahr sensibilisieren. Gefragt sind hier in erster Linie die russischsprachigen Medien in Deutschland. Denn einer Untersuchung von Prof. Barbara Pfetsch von der Universität Hohenheim zufolge lesen Russlanddeutsche kaum deutsche Zeitungen oder Zeitschriften. Bei der Nutzung des deutschsprachigen Fernsehprogramms steht Unterhaltung im Vordergrund. Sachinformationen holen sich Russlanddeutsche dieser Untersuchung zufolge eher aus russischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Diese greifen Fragen beispielsweise der sozialen Integration jedoch nicht auf.
Den Integrationsprozess der Russlanddeutschen als gesamter Zuwanderungsgruppe voranzutreiben, ist Aufgabe von Einheimischen, Russlanddeutschen, Politik und Medien zugleich. Die Medien scheinen das vielfach leider noch nicht so ganz begriffen zu haben.
Irene Tröster
SWR International
Stuttgart
i.troester@gmx.de
Wann ist man integriert?
Das Integrationsverständnis der Medien und Russlanddeutscher im
Vergleich
Ich bin Russlanddeutsche. Und ich bin voll integriert, sagen meine einheimischen Freunde und Bekannte. Sie sagen es als Kompliment und meinen damit, dass man mir meine Herkunft eigentlich nicht mehr anmerkt. Und das stimmt. Ich habe einen deutschen Namen und spreche gut Deutsch. Meine Nachbarn wissen nicht, dass ich Russlanddeutsche bin. Meine Freunde und Bekannte sind fast ausschließlich Einheimische. Selbst das Essen ist bei mir Schwäbisch. Wenn Gäste kommen, backe ich Träubleskuchen und zum Abendessen gibt es handgemachte Kässpätzla mit Kartoffelsalat. Ich gebe zu, ich habe einen Samowar im Wohnzimmer stehen. Aber so ein bisschen Nostalgie schadet nicht. Und meine einheimischen Gäste sind ganz wild auf Samowartee. Ich spreche in der Öffentlichkeit nicht Russisch, ich gehe zur Wahl, bin Mitglied in einem Verein und besitze Goethes gesammelte Werke. Wie gesagt, ich bin voll integriert.
Und Olga und Waldemar Krenzke? Sind die auch voll integriert. Sie sprechen leidlich Deutsch, aber eben mit Akzent. Olga trägt immer noch diese typisch russischen Rotgoldohrringe. Die beiden arbeiten, nicht gerade in ihrem Traumjob. Aber immerhin konnten sie sich vor zwei Jahren ein Haus bauen. Sie fühlen sich wohl in Klein-Kasachstan, wie die Anwohner das Russenviertel ihrer Stadt nennen. Langweilig wird ihnen nie. Sie haben viel Kontakt zu den russlanddeutschen Nachbarn. Am Wochenende kommen Verwandte und alte Freunde zu Besuch. Und über Satellit empfangen sie mehrere russischsprachige Fernsehprogramme. Über das Leben in der alten Heimat informieren sie sich über eine russische Wochenzeitung. Privaten Kontakt zu Einheimischen haben sie nicht. Und auch ihre Kinder haben ausschließlich russlanddeutsche Freunde.
Sind die Krenzkes integriert? Na klar, sagen sie. Nein, sagen die Einheimischen an ihrem Wohnort. Und auch dem Integrationsverständnis der Medien zufolge sind die Krenzkes keineswegs als integriert zu bezeichnen.
Der Medienberichterstattung liegt ein Integrationsverständnis zugrunde, das hohe Anforderungen an Zuwanderer stellt. Neben guten Deutschkenntnissen und der Achtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands wird von Zuwanderern erwartet, dass sie sich im öffentlichen Leben unauffällig verhalten und dass sie möglichst rasch in der Aufnahmegesellschaft aufgehen Als wichtigste Kennzeichen gelungener Integration gelten soziale Kontakte zu Einheimischen und vollständige Assimilation. Dass Zuwanderer sich auch in der zweiten und dritten Generation noch in └erschreckenden Parallelwelten⌠ abschotten, so der SPIEGEL, oder sich weigern, └Gleiche⌠ zu werden, wie es in der ZEIT heißt, wird als eindeutiges Zeichen fehlender Integrationsbereitschaft gewertet.
Gemessen an diesem Integrationsverständnis sind, denke ich, die meisten Russlanddeutschen als nicht integriert zu bezeichnen. Sie haben wenig Kontakt zu Einheimischen, leben in separierten Wohngegenden, sprechen nicht unbedingt gut Deutsch und fallen durch ihr Verhalten und ihr Äußeres auf.
Was ist los mit den Russlanddeutschen? Wollen sie sich einfach nicht integrieren, wie ihnen vielfach unterstellt wird? Sicher gibt es Russlanddeutsche, bei denen das Fall ist. Die meisten Russlanddeutschen aber wollen sich integrieren. Und viele dieser Russlanddeutschen, die nicht perfekt Deutsch können, die in sogenannten Russenghettos leben und keinen Kontakt zu Einheimischen haben, fühlen sich tatsächlich auch integriert. Warum eigentlich? Weil sie ein anderes Verständnis von Integration haben als die deutsche Gesellschaft.
Wann ist man integriert? war eine der zentralen Fragen meiner Untersuchung zum Integrationsverständnis Russlanddeutscher, die ich an der Universität Hohenheim durchgeführt habe. Die Ergebnisse basieren auf intensiven Gesprächen mit 19 erwachsenen Russlanddeutschen, die zum Befragungszeitpunkt teilweise seit einigen Monaten in Deutschland lebten, teilweise seit über 20 Jahren.
Ich konnte bei diesen Befragten drei verschiedene Auffassungen von Integration finden:
1. Man ist integriert, wenn man im Alltag selbständig zurechtkommt.
2. Man ist integriert, wenn man mit den Einheimischen mithalten kann.
3. Man ist integriert, wenn man den Einheimischen gleicht.
Unter Verallgemeinerung meiner natürlich keineswegs repräsentativen Ergebnisse kann man folgenden Integrationsziele Russlanddeutscher formulieren:
1. Das Integrationsziel └Zurechtkommen⌠ oder, um in der Fachterminologie zu bleiben, die Eingliederung.
2. Das Integrationsziel └Mithalten⌠ bzw. Partizipation.
3. Das Integrationsziel └Gleichen⌠ bzw. Assimilation.
Für jedes dieser Integrationsziele lassen sich zwei Zieldimensionen unterscheiden, die ich im Folgenden darstellen will.
Die meisten Befragten und meiner Einschätzung nach auch die meisten Russlanddeutschen streben das Integrationsziel └Zurechtkommen⌠ an. Integrationsziel ist das Wiedererlangen von Selbständigkeit. Selbstständigkeit gilt als erreicht, wenn man selbständig lebt und sich selbst versorgt, d.h. wenn man über alltagstaugliche Deutschkenntnisse verfügt, in den Wohnungsmarkt integriert ist, selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann und über so viel Alltagskompetenz verfügt, dass man sein Leben ohne fremde Hilfe meistern kann. Für einige Befragte gehört zum Zurechtkommen, dass sie auch mit den Einheimischen in ihrem Umfeld zurechtkommen. Das heißt, dass die soziale Interaktion im Wohnumfeld und bei sonstigen Alltagsbegegnungen reibungslos klappt.
Dieses Integrationsziel zu erreichen, dauert nach Erfahrung der Befragten unter günstigen Umgebungsbedingungen, das heißt, bei ausreichend Sprachförderung und sonstiger Eingliederungshilfe und einer passablen Arbeitsmarktlage, ein bis zwei Jahre.
Das zweite Integrationsziel ist ⌠Mithalten⌠. Auf dem Weg zur Integration lassen sich zwei Etappen unterscheiden: An erster Stelle steht wieder das Erreichen von Selbständigkeit. Als voll integriert gilt man aber erst, wenn man entweder so gut leben kann wie die Einheimischen, also in der Terminologie von Hartmut Esser ausgedrückt, strukturell assimiliert ist. Oder wenn man fachlich mitziehen kann, das heißt über das gleiche Alltagswissen und die gleiche berufliche Kompetenz verfügt wie einheimische Kollegen, also kognitiv assimiliert ist.
Auch das Integrationsziel └Mithalten⌠ kann nach Ansicht der Befragten innerhalb von zwei bis vier Jahren erreicht werden. Wer es in dieser Zeit nicht schafft, den gleichen Lebensstandard oder den gleichen Wissensstandard zu erreichen wie die Einheimischen, wird ihn der Erfahrung meiner Befragten zufolge auch in Zukunft nicht erreichen.
Die Betrachtung dieser beiden Integrationsziele bestätigt meine anfängliche Behauptung: Russlanddeutsche haben ein anderes Verständnis von Integration als die Aufnahmegesellschaft. Der in Medien und Gesellschaft geforderte Kontakt zu Einheimischen, Unauffälligkeit und das vollständige Aufgehen in der deutschen Gesellschaft, spielen bei der Formulierung dieser beiden Integrationsziele keine Rolle.
Erst das dritte Integrationsziel └Gleichen⌠ kommt dem Integrationsverständnis in Medien und Öffentlichkeit näher. Die Russlanddeutschen, die dieses Integrationsziel anstreben, gehen davon aus, dass man erst dann in Deutschland integriert ist, wenn man sich nicht mehr von den Einheimischen unterscheidet. Sie streben die Angleichung an die Aufnahmegesellschaft nicht deswegen an, weil sie ihre Herkunftskultur nicht schätzen, sondern weil sie merken, dass sie in Deutschland einfach nicht als Deutsche akzeptiert werden, so lange ihnen ihre Herkunft anzumerken ist. Auch hier lassen sich wieder zwei Dimensionen des Integrationsziels unterscheiden: Die einen gehen davon aus, zur Integration bedürfe es zusätzlich zur äußerlichen Angleichung der Übernahmen der Werte der Aufnahmegesellschaft, ihrer Traditionen und ihrer Kultur, der sogenannten identifikativen Assimilation. Integriert ist man diesem Verständnis zufolge, wenn man ganz so ist wie die Einheimischen. Die anderen halten äußerliche Angleichung für ausreichend. Integriert ist man, wenn den Einheimischen nicht gleich auffällt, dass man nicht hier geboren ist. Die Aufgabe der mitgebrachten Kultur, der Werte und Traditionen ist dazu nicht erforderlich. Wer hier Übernehmenswertes vorfindet, kann dies in das mitgebrachte Wertesystem und die mitgebrachte Kultur integrieren. Geschwindigkeit und Umfang bleibt jedem Russlanddeutschen selbst überlassen.
Die Befragten mit Integrationsziel └Gleichen⌠ haben alle schnell bemerkt, dass sie ihr Integrationsziel trotz aller Bemühungen nicht erreichen können. Wer als Erwachsener nach Deutschland kommt, wird schon allein wegen seines Akzents immer als Fremder erkennbar bleiben. Und sie reagieren auf diese Erkenntnis, indem sie ihren Wunsch, den Einheimischen zu gleichen, auf ihre Kinder oder Enkel übertragen, die jung nach Deutschland kamen. Sie gehen davon aus, dass Kindergarten und Schule die zweite und dritte Generation zu └richtigen⌠ Deutschen machen, die sich von ihren einheimischen Gleichaltrigen nicht mehr unterscheiden. Ihren eigenen Integrationsprozess halten auch Russlanddeutsche mit Integrationsziel └Gleichen⌠ mit Erreichen von Selbständigkeit für beendet.
Unter Verallgemeinerung meiner Forschungsergebnisse bleibt also festzuhalten:
Russlanddeutsche lassen sich von einem anderen Integrationsverständnis leiten als die Aufnahmegesellschaft. Ein Hauptunterschied liegt in der Beurteilung der Bedeutung sozialer Kontakte zu Einheimischen. Während Russlanddeutsche sich diese zwar häufig wünschen, sie jedoch nicht für unerlässlich halten, wird soziale Separation in der öffentlichen Integrationsdiskussion als einer der Hauptindikator misslungener Integration bezeichnet. Das von der Aufnahmegesellschaft vehement geforderte Aufgehen von Migranten in der deutschen Gesellschaft strebt ein Teil der Russlanddeutschen zwar an, schafft es jedoch nicht. So markiert das Erreichen von Selbständigkeit für Russlanddeutsche in der Regel das Ende ihrer Integrationsbemühungen - sei es aufgrund ihres Integrationsziels oder aufgrund der Erkenntnis, die eigenen Integrationsmöglichkeiten damit ausgeschöpft zu haben.
Diese unterschiedlichen Vorstellungen von Integration können zu Spannungen und Mißverständnissen führen. Während Russlanddeutsche nicht verstehen, warum die Einheimischen sie trotz ihres Integrationserfolges nicht als integriert bezeichnen, wirft die Öffentlichkeit den Russlanddeutschen zu geringes Integrationsbemühen oder gar fehlende Integrationsbereitschaft vor.
Entschärfen läßt sich dieses Spannungsfeld durch die Beseitigung beidseitiger Informationsdefizite, insbesondere durch die Klärung des Schlüsselbegriffs der Integration. Denn erst wenn die Einheimischen die Integrationsauffassung Russlanddeutscher kennen und Russlanddeutsche wissen, welche Integrationsleistungen die Gesellschaft von ihnen erwartet, wird gegenseitiges Verständnis möglich. Den Medien kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu.
Die Berichterstattung über Russlanddeutsche ist, wie wir bereits gehört haben, geprägt von hoher Negativität und fehlender Normalität. Da Russlanddeutsche meist im Zusammenhang mit Kriminalität oder Arbeitslosigkeit erwähnt werden, erscheinen sie den Einheimischen zwangsläufig als faul, kriminell und fremd, als wenig integrationsbereit, als gesellschaftliches Problem. Dass die meisten Russlanddeutschen hier recht gut zurechtkommen, bleibt ebenso außen vor wie die Probleme, mit denen sie bei ihrer Integration zu kämpfen haben. Eine objektivere Berichterstattung in den Medien könnte sicherlich dazu beitragen, das Image der Russlanddeutschen zu verbessern. Neben der Unterbindung von ethnischen Vorurteilen haben die Medien noch einen anderen Auftrag zu erfüllen: Sie sollten in Einheimischen mehr Verständnis für und mehr Geduld mit Zuwanderer wecken. So könnten sie dazu beitragen, dass Einheimische die für eine Zuwanderungsgesellschaft zwingend erforderlichen angemessene Maßstäbe zur Beurteilung des Integrationserfolgs von Migranten entwickeln. Beispielsweise indem sie ausführlicher über den Alltag und die Schwierigkeiten von Russlanddeutschen in der deutschen Gesellschaft berichten. Oder indem sie aufzeigen, wie schwierig es für Russlanddeutsche angesichts der Verschlossenheit Einheimischer ist, mit diesen in Kontakt zu treten.
Und auch die Russlanddeutschen brauchen meiner Ansicht nach Integrationshilfe durch die Medien. Ich halte es für beispielsweise für gefährlich, wenn Russlanddeutsche den Stellenwert sozialer Integration nicht erkennen. Integration ist meiner Meinung nach auch ohne Kontakt zu Einheimischen möglich. Dennoch halte ich Kontakt zwischen Russlanddeutschen und Einheimischen für äußerst wichtig. Denn selbst oberflächliche Kontakte können zu gegenseitigem Verständnis und zur Ausmerzung oder Relativierung ethnischer Vorurteile beitragen. Nehmen Russlanddeutsche ihre fehlende soziale Integration nur als ihr persönliches, nicht aber als gesellschaftliches Problem wahr, erkennen sie nicht, dass ihre geringe soziale Integration auch die soziale Integration ihrer in Deutschland geborenen Kinder und Enkel gefährden kann. Anstatt sich darum zu bemühen, die deutsche Gesellschaft kennen- und verstehen zu lernen oder wenigstens die Kinder dazu zu ermuntern, geben sie sich der trügerischen Hoffung hin, die zweite und dritte Generation werde ganz automatisch zu gleichwertigen, sozial integrierten Mitgliedern der Gesellschaft. Die Medien könnten sie für diese Gefahr sensibilisieren. Gefragt sind hier in erster Linie die russischsprachigen Medien in Deutschland. Denn einer Untersuchung von Prof. Barbara Pfetsch von der Universität Hohenheim zufolge lesen Russlanddeutsche kaum deutsche Zeitungen oder Zeitschriften. Bei der Nutzung des deutschsprachigen Fernsehprogramms steht Unterhaltung im Vordergrund. Sachinformationen holen sich Russlanddeutsche dieser Untersuchung zufolge eher aus russischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Diese greifen Fragen beispielsweise der sozialen Integration jedoch nicht auf.
Den Integrationsprozess der Russlanddeutschen als gesamter Zuwanderungsgruppe voranzutreiben, ist Aufgabe von Einheimischen, Russlanddeutschen, Politik und Medien zugleich. Die Medien scheinen das vielfach leider noch nicht so ganz begriffen zu haben.