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Lachen

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Дель Брюкер знакомое лицо22.09.06 00:47
Дель Брюкер
22.09.06 00:47 
Während meines Daseins im Wohnheim auf der Arndtstrasse in Köln-Weiden war "Integration" das ersthäufigste Wort, das man zu hören bekam. Es läutete in allen möglichen Ecken. Sogar in dem fetten brummenden Murren des Katers der Hausmeisterin war kaum zu überhören. "In-te-grie-re Dich... in-te-grie-re Dich...". Keiner von uns hatte Bedenken dagegen. Alle wollten sich integrieren. Im Klartext hieß es: Raus aus dem Wohnheim, rein in eine Mietwohnung.
Wie sollte ein Integrationsbedürftiger an eine Wohnung herankommen? Die Anrufe nach privaten Anzeigen im "Marktplatz" und im "Kölner Stadt-Anzeiger" erwiesen sich als nicht produktiv: Die meisten Anrufer sollen akustisch kaum verstanden worden sein. Die übrigen konnten selbst kaum etwas verstehen. Als hervorragend galt, wenn ein Anrufer nach einem kurzen Telefonat seinen Familienangehörigen mit stolzer Stimme mitteilen konnte:
- Ich habe alles, wirklich alles verstanden: Die Wohnung ist bereits vergeben.
Der Königsweg zur ersten Integrationsstufe lag über die Pforten der städtischen Wohnungsgesellschaften. Die Liste mit rund 30 Adressen dieser Gesellschaften waren im Wohnungsamt erhältlich. Man ging die ganze Liste mehrmals durch. Im wahren Sinne des Wortes: Die Menschen kamen zu einer Gesellschaft mit ihren WBS (Wohnungsberechtigungsscheinen), hörten sich das übliche "In absehbarer Zeit keine Wohnung frei" an und gingen dann zu einer weiteren Gesellschaft, um sich dieses noch einmal variationsfrei anzuhören. Nach einiger Zeit war die Liste komplett durch. Es war also höchste Zeit, zu der ersten Gesellschaft wiederzukommen und zu fragen: "Vielleicht doch?".
Komischerweise war die Erfolgsquote gerade bei diesem Vorgehen überproportional hoch. Wie die Nachkommen einer Essigfliege wuchs unter den Heimbewohnern die Vermutung, dass die Glückspilze außer dem "Vielleicht doch?" auch markigere Worte sagten. Die Besitzer eines frisch ausgehändigten Mietvertrages wurden durch die Heimbewohner immer einer Hardcoreprüfung unterzogen. Trotz Knackfragen konnte man aus ihnen kaum etwas Substantielles herauskitzeln. Vielleicht lag es daran, dass die Gesellschaften die Mietverträge nur nach einiger Zeit zu unterschreiben pflegten. (Wer weiß, wer noch in der Zwischenzeit bei der ersehnten Gesellschaft vorbeischaut?..). Als einem bohrende Fragen gestellt wurden, meinte er, während er eine auf der Fensterscheibe sitzende Fliege abwesend betrachtete:
- Man muss einfach dem Sachbearbeiter der Gesellschaft gefallen...
- Was genau meinst du damit?!
- Na ja... Bei mir war es so... An der Wand im Büro da hing ein Bild von Einstein. Ich zog aus meiner Tasche ein Buch und sagte dem Sachbearbeiter, es wäre ein persönliche Geschenk von Einstein an meinen verstorbenen Onkel...
Auch das Buch wurde präsentiert. Auf der ersten Seite eines abgegriffenen Detektivs von Agatha Christi stand schief gekritzelt: "With love. Albert".
- .......
Mein Freund Sergej glaubte an einen solchen Altruismus von Wohngesellschaften nicht. Nachdem er die besagte Liste zum dritten Mal ohne sichtbaren Erfolg durchgegangen war, kam er auf die Idee, beim persönlichen Gespräch in einer Gesellschaft etwas Handgreifliches vorzulegen. Das dürfte nicht (zumindest nicht direkt) strafbar sein. Gleichzeitig müsste dies doch etwas mehr sein, als ein Paar Worte auf seinem Deutsch. Umso mehr, weil ihn sowieso kein Deutscher akustisch verstehen konnte. Die Quintessenz seiner Überlegungen kristallisierte sich in Form eines Satzes auf seiner Muttersprache heraus. Den Satz müsste man ins Deutsche übersetzen und auf einer Postkarte niederschreiben. Diese Postkarte müsste dem Sachbearbeiter persönlich präsentiert werden.
Zunächst überlegte er sich noch einmal sehr gründlich den inhaltlichen Teil seiner Message. Dann verbrachte er einen halben Tag, durch ein russisch-deutsches Wörterbuch und einen dicken Duden gestärkt, um die bestmögliche Formulierung auf deutsch zu gestalten. Erst dann erwarb er in dem gegenüberliegenden Kaufhof eine Postkarte. Auf dieser war ein knallrotes Herz mit Reisverschluss abgebildet. Die Botschaft, die Sergej bereits als Evangelium ansah, trug er mit seiner Kindeshandschrift mit höchster Sorgfalt ein.
Am nächsten Tag besuchte er nur eine einzige Wohnungsgesellschaft. Diese war Sergej irgendwie sympathisch: Sie befand sich ziemlich weit vom Zentrum der Stadt entfernt und war nie von Wohnungssuchenden umströmt. Einmal sollte Sergej sogar den zuständigen Sachbearbeiter gesehen haben, wie dieser auf seinem alten Golf von der Arbeit fuhr...
Niemand in unserem Wohnheim außer mir wurde über das Vorgehen explizit informiert. Trotzdem strömten alle in sein Zimmer, als Sergej zurückkam. Sergej stand vor seinem schäbigen Esstisch und guckte auf die blühende Magnolie, die vor dem Heim wuchs. Auf seinem Gesicht konnte man noch einige rote Flecken sichten. Seine Augen waren feucht und strahlten dezente Hoffnung aus. Auf der Tischoberfläche lag die große Karte mit dem knallroten Herz mit Reisverschluss.
Jemand brach endlich das minutenlange Schweigen:
- Na, sag mal, wie war es?
- Ich ... weiß nicht ... Es war irgendwie anders... Doch... Es war irgendwie besser...
- Was war besser? Hast du ihm die Karte gezeigt?
- Ja, doch...
- Und? Was hat er gesagt?
Sergej schwieg und betrachtete die Magnolie. Ihre Zweige kamen sehr nah ans Fenster heran. Die Blüten waren noch nicht ganz offen. In ihrem leichten Zittern schlief die Hoffnung.
- Na, sag jetzt endlich! Was hat er dir gesagt ?
- Er ... er lachte...
Sergej nahm langsam die Karte in die Hand, sah sie nachdenklich an und legte sie wieder auf den Tisch mit der Schriftseite nach oben. Darauf stand: "Im Rahmen des Möglichen wird meine Dankbarkeit grenzenlos sein".
Für eine Minute eroberte das Schweigen wieder den Raum. Dann sagte eine tiefe Frauenstimme:
- Wie lachte er denn? War das ein Ja-Lachen oder ein Nein- Lachen?
Nun lachten wir alle. Denn niemand, auch Sergej selbst, konnte die letzte Frage definitiv beantworten...
#1 
  Taro2005 старожил22.09.06 18:09
NEW 22.09.06 18:09 
в ответ Дель Брюкер 22.09.06 00:47
Ich falle buchstäblich vom Stuhl vor Lachen! Klasse!
"auch markigere Worte sagten" - diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört.
#2 
Дель Брюкер знакомое лицо22.09.06 20:04
Дель Брюкер
NEW 22.09.06 20:04 
в ответ Taro2005 22.09.06 18:09
Wir Russen (echte Russen? - Egal...) tragen unser Makrenzeichen (was es auch sein mag) mit Stolz...
#3 
  Taro2005 старожил22.09.06 20:12
NEW 22.09.06 20:12 
в ответ Дель Брюкер 22.09.06 20:04, Последний раз изменено 22.09.06 20:13 (Taro2005)
Hör mal, das ist ja witzig! Ich hab in ganz andere Richtung gedacht: "markig" im Sinne "deutsche Mark", also - Bestechung.
""markigere Worte sagten" - Um eine Wohnung zu bekommen, mussten die Wohnheimbewohner die Sachbearbeiter bestechen. Du schreibst ja auch von etwas "Handgreiflichem". Siehst Du, wie multidimensional Dein Text ist!
#4 
gadacz Нободы ис перфецт25.09.06 12:48
gadacz
NEW 25.09.06 12:48 
в ответ Дель Брюкер 22.09.06 20:04
In Antwort auf:
tragen unser Markenzeichen

Oh weh! Das Markenzeichen aus Sicht der Deutschen?
Das ist der Iwan, der Wodka säuft, Borscht isst, Papirossi oder Machorka raucht und Balalaika spielt.
DEUTSCHsprachiger €uropäer mit preußischem Migrationshintergrund - service.gadacz.info
#5 
Дель Брюкер знакомое лицо25.09.06 14:50
Дель Брюкер
NEW 25.09.06 14:50 
в ответ gadacz 25.09.06 12:48
Oh nein! Das Markenzeichen aus Sicht der Russen. Das ist der [Name egal], der Wodka mit Genuß und ohne jeglichen Gesundheitsschaden zwecks Inspiration trinkt, den alle Ausländer (v.a. der Westen, aber auch Bin Laden höchstpersönlich) kreuzweise können, der (auch wenn er voll betrunken auf der Strasse liegt) jedem anständigen Passanten sagen kann: "Du bist aber ein komischer Vogel..." Dia Ära von Borscht, Papirossi, Machorka und Balalaika ist längst vorbei...
#6 
gadacz Нободы ис перфецт25.09.06 15:13
gadacz
NEW 25.09.06 15:13 
в ответ Дель Брюкер 25.09.06 14:50
Ist ja zum Lachen!
So ändern sich die Zeiten. Mein Weltbild bricht zusammen . Keine Werte und Vorurteile, an denen man sich noch oruentieren kann.
Übrigens: Bin Laden wird wohl nicht mehr meckern. Dem Vernehmen nach hat er das Zeitliche gesegnet. Mit Wodka wär das nicht passiert, der desinfiziert und gibt dem Typhus keine Chance!
Borscht habe ich übrigens reichlich zum Frühstück bekommen und im Hintergrund spielte die Balalaika (falscher Sender?)
Wodka, klar, habe ich in zollunzulässiger Menge ex-/importiert. Man sagte mir, es sei der beste und Russen machen gerne Geschenke. So habe ich nun paar Flaschen im Haus. Die Inspiration reicht nicht aus, um sie zu öffnen.
Da fällt mir ein: Natürlich mache ich auch Geschenke als Gast, gehört sich einfach so. Aber was. Vor der Reise habe ich mich erkundigt, was so gerne gesehen wird und den gastgeber erfreut. Blumen, Getränke und Pralinen? Na ja, bringt jeder und ist im Land billiger als hier.
Aber interessant war ein Hinweis eines "Insiders": Die beliebtesten Mitbringsel in Moskau sind Whiskey und Klopapier. Das macht Ausländer beliebt!
Ich habe aber noch etwas Passendes gefunden und es wurde erfreut und dankbar entgegengenommen.
DEUTSCHsprachiger €uropäer mit preußischem Migrationshintergrund - service.gadacz.info
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