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Erstens, zweitens, drittens...

15.10.06 19:55
Erstens, zweitens, drittens...
 
Дель Брюкер знакомое лицо
Дель Брюкер
Herr Severin, ein leitender Manager eines großen Fernsehsenders in Köln, wachte an seinem ersten Urlaubstag in einer freudigen Stimmung auf. Sein Vertrag beim Sender war gerade vor seinem Urlaub auf weitere drei Jahre verlängert worden. Das war erstens. Zweitens fuhr ihm sofort durch den Sinn das gestrige Telefonat. Seine Frau, diese alte Ziege, gab endlich auf. Sie ließ ihm mitteilen, dass er - gegen eine Abfindung - das Haus in Weiden beibehalten könne. Der Betrag war recht schmerzlich, aber es hätte auch schlimmer sein können. Das wird er nun irgendwie hinkriegen... Und sein Peter, sein Liebling, sein Juwel- Jetzt wird er zu ihm zuziehen können. Und drittens... Es war doch noch was... Ja! Bingo! Nachdem er gestern mit dem Anwalt seiner Frau alles besprochen hatte, rief er seinen Bekannten - dem Chef eines Entrümpelungsunternehmens - an. Heute wird im Schlafzimmer abgeräumt werden. Dann wird er mit Peter etwas schön gemeinsam aussuchen...
Silvas tägliche Rundgang in Weiden näherte sich dem Ende- Sie dachte, Samstage seien nicht so aufregend wie Donnerstage, die Sperrmülltage, aber... Auf jeden Fall ist Samstag besser als Montag oder Dienstag. An diesen Tagen sind die ruhigen Gassen vor den Häusern fast immer leer. Niemand holt seinen Kram heraus... Aber Samstag... Erstens hatte sie bereits an einem Samstag Glück: Sie konnte verhindern, dass ein Mann ihr altes Radio in den Hausmüll wirft. Es war doch ein sehr schönes Radio mit Kassettenrecorder drin. Und alles funktionierte!.. Wer im Heim hat ein solches Radio?.. Keiner! Außer ihr... Zweitens hätten die Leute samstags einfach mehr Zeit, um ihre alten Sachen loszuwerden. Manch eine Frau steht neben ihrem Müllbehälter vor der Haustür mit einem alten Toaster in der Hand so hilflos herum... Das ist komisch! Der Behälter ist voll, das Ding passt bloß nicht hinein!.. Gib es besser Silva, es fährt mit dem anderen Zeug in die Ukraine zu ihrer Nichte und wird noch 20 Jahre lang arbeiten... Man darf auch indiskret sein und Leute einfach so ansprechen. Die gute Frau hat es überlebt... Und außer dieses Toasters hat sie ihr was ganz Nobles gegeben. Silva sah das Kostüm, das sie anhatte, kurz an und blieb mit sich selbst sehr zufrieden. So ist Samstag an sich genommen kein schlechter Tag... Und drittens... Silva hatte so ein Gefühl, dass heute noch etwas besonderes geschehe. Und ihr Gefühl selbst war auch was besonderes. Recht selten täuschte es sie... Eher unbewusst bog sie nicht, wie üblich, nach links zum Wohnheim, sondern setzte ihren Gang entlang der Arndtstrasse weiter fort... Was für einen Laster steht da?..
Isaak saß in seinem hellgrauen Anzug mit Krawatte vor dem Fenster in seinem Zimmer im Heim und schaute melancholisch auf die blühende Magnolie auf dem Hof. Auch an Feiertagen trug er Anzug und Krawatte; diese erinnerten ihn an die Zeit, als sein Leben von höherem Sinn geprägt worden war... An die leidenschaftliche Arbeit in seinem Moskauer Institut, das er niemals vor 9 Uhr abends verlassen hatte... Der Anzug und Krawatte schützten ihn irgendwie vor der ganzen Unordnung hier, bildeten eine Art Mauer... Vor diesen komischen Menschen im Heim, die nach Deutschland ohne Deutschkenntnisse gekommen waren und nun ohne Sinn und Zweck herumliefen... Vor ihren schrillenden Kindern im Flur... Isaak hatte miese Laune. Es kam heute keine Post. Er hasste Samstage, besonders die Nachmittagszeit. Erstens kommt in den nächsten zwei Tagen kaum Post. Das heißt, dass er bis auf den kommenden Dienstag das Feedback auf seine Briefe nicht hat. Neulich verschickte er 8 Briefe. An alle Standorte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Kurz und sachlich wies er auf die nächsten notwendigen Schritte zur Weiterentwicklung der Ariane*. Die Deutschen wissen noch nicht, was für einen Ingenieur er sei. Sie werden es sehen. Das kriegt er schon hin... Noch zwei Tage- Zweitens sind Samstage keine echten Werktage. Alle kaufen ein und putzen, es ist so viel Lärm und Hektik den ganzen Tag lang rund um nichts... Die Kinder sind nicht in der Schule... Es sind also noch zwei Tage... In diesem Wohnheim- Ja, drittens, dieses Wohnheim- Es geht ihm auf den Geist... Er wird immer von anderen Leuten angesprochen... Wegen seines Deutsch... Diese komischen Schreiben vom Sozialamt und vom Arbeitsamt... Aber er musste zugeben, dass diese Übersetzungen für ihn eine Erleichterung waren. Er wird alles tun, um die Zeit totzuschlagen... Das Ergebnis ist nichts, der Weg ist alles... Wer hatte es gesagt?.. Was will nun diese komische Frau von ihm?..
Silva hatte einige schwierige Probleme zu lösen. Sie war mit dem Mitarbeiter der Entrümpelungsfirma ins Haus gegangen und hatte gesehen, was gerade entsorgt werden soll. Dies konnte sie nicht zulassen. Es gab so viele Sachen, die sie sehr gut gebrauchen könnte, wenn sie irgendwann in eine Wohnung einzieht. Und ihre Nichte in der Ukraine... Mit diesen Sachen kann man in der Ukraine bis zum letzten Atemzug glücklich leben... Aber sogar wenn sie an die Sachen herankommt, wo lagert sie diese demnächst hin?... Ihr Zimmer im Heim ist zu klein dafür... Vielleicht in den gemeinsamen Keller?.. Problematisch... in vielen Hinsichten... Es muss noch dem Hausbesitzer klargemacht werden, dass er diesen Laster wegschickt. Dass sie alles selbst wegräumt. Aber ihr Deutsch war viel zu schwach, um ihm das alles zu erklären. Zunächst konnte sie ihn nur mit Gesten und Mimik darum bitten, kein Gegenstand ohne sie anfassen zu lassen. Sie werde gleich kommen. Sie dachte dabei an Isaak. Er ist der einzige im Heim, der an den Sachen nicht interessiert sein werde. Er werde dem Hausbesitzer auch alles erklären... Dass die Sachen noch bis zum Anbruch des Abends weggeschafft würden. Er werde auch beim Tragen helfen... Zum Tragen werde sie noch ein paar junge Männer im Heim auftreiben... Die Sachen werden unter allen gerecht verteilt werden, so sagt sie ihnen. Dafür müssen sie zunächst in ihr Zimmer gebracht werden. Alles Weitere kriegt sie schon irgendwie hin...
Aus der Küche in ihrem Haus auf der anderen Strassenseite konnte Frau Mühlenbock den Anfang der Aktion sehr gut verfolgen. Mit leichtem Grinsen guckte sie, wie ein Mann mit hoher Stirn in einem hellgrauen Anzug mit Krawatte und eine magere Frau in einem altmodischen schwarzen Kostüm Herrn Severins zunächst etwas erklärt hatten und in sein Haus herein kamen. Der Blick des Mannes mit hoher Stirn war abwesend und die magere Frau gestikulierte sehr heftig. Wie Herr Severin dem herumstehenden Spediteur ebenso etwas zu erklären versuchte. Wie die magere Frau aus dem Haus kam, ein schöner Polsterstuhl in der Hand. Wie Herr Severin daraufhin aufschrie und den Polsterstuhl an die Armlehne packte...
- Schau mal, Schatz, - rief Frau Mühlenbock zu ihrem Mann, der im neben ihr in einem tiefen Ledersessel saß und die gestrige Ausgabe vom "Marktplatz" durchblätterte. - Ich hab dir immer gesagt, so was endet nie gut. Bei diesem alten Bock sind schon Gerichtsvollzieher am Werk!
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* Im Auftrag der europäischen Weltraumorganisation entwickelte Trägerrakete für den Start von Forschungs-, Kommunikations-, Navigations- und Wettersatelliten.
 

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